Fünf Ringe und das Tor zum Gefängnis

Wir lassen lesen: „Der olympische Sumpf“ wirft einen notwendig bösen Blick auf die Spezialdemokratie des IOC

Die Boxwettkämpfe in Sydney werden spannend. Dass zwei Menschen aufeinander einklopfen und derjenige gewinnt, der mehr Treffer setzen kann, interessiert allerdings nicht wirklich. Das Wesentliche passiert am Rande. Am Rande des Rings und am Rande der Legalität.

Wenn vielleicht wieder ein unbekannter usbekischer Boxer den Titelfavoriten auf unerklärliche Weise besiegt und sich Funktionäre danach gegenseitig auf die Schultern klopfen, als ob sie im Schweiße ihres Angesichts selbst die Medaille erkämpft hätten. Da wären dann selbst die paar Prozent sportlich uninteressierter Menschen noch vor die Kiste zu kriegen. Spielfilmreife Szenen spielen sich genügend ab ... Wie 1997 bei den Amateur-Weltmeisterschaften in Budapest, wo der erst 19 Jahre alte Ruslan Schagajew den als unschlagbaren geltenden 30-jährigen Kubaner Felix Savon auf dubioseste Weise besiegte. Mit unerklärlichen 14:4 Zählern werteten die Punktrichter für den Nobody. Am Ring saß sekttrinkenderweise der „Pate von Taschkent“ Gafour Rachimow. Der ist nicht nur Mitglied des usbekischen NOK, sondern wird in Frankreich, England und den USA von FBI, Polizei und Medien wahlweise als „Geldwäscher“ oder „Führer der Mafia“ in einem der korruptesten Staaten der Welt eingeschätzt. Australien verweigerte ihm trotz Intervention des IOC jetzt die Einreise. Da Boxer Schagajew aber bereits Profikämpfe in den USA bestritten hatte, wurde ihm der Titel wieder aberkannt. Rechtlich vertreten wurde der junge, nicht besonders vermögende Usbeke von einer der teuersten Anwaltskanzleien der USA, Manatt, Phelps & Phillips, die auch für Bill Clinton arbeitet.

Noch viel mehr solcher unglaublicher Geschichten und Biografien über das IOC haben die beiden Journalisten Thomas Kistner und Jens Weinreich in „Der olympische Sumpf“ zusammengetragen. Bis schließlich ein schlüssiges Bild des olympischen Systems aus den tragenden Säulen Wirtschaft, Politik und Justiz entsteht. Sport ist nur mehr die Kulisse des Olymps. Spezialdemokratie heißt das hier. In einer dunklen Parallelwelt voller Individuen, die wegen ihrer guten Kontakte zu den Regierungen und Wirtschaftsbossen vieler Länder ehrenamtliche Positionen und (in diesem Fall sportliche) Funktionärstätigkeiten immer abwechselnd mit ihren tatsächlichen Berufen ausüben, lässt sich Illegalität schwer beweisen. Alles wird sich unter den Sportbossen in ihrer Filzokratie so zurecht geschoben, dass sich die Handlungszusammenhänge irgendwie immer als rechtlich legitim bezeichnen lassen.

Natürlich liegt in der Beweisbarkeit auch das Hauptproblem des Buches. Aber: Streng wissenschaftlich wird nicht gearbeitet, auf Angabe von unendlichen Quellen verzichtet und trotzdem ausreichend Einblick in die amtliche Faktenlage angeboten. Dafür wird auf Lesbarkeit und Verständlichkeit gesetzt, was fesselnde Stunden mit dem Buch verspricht.

Nicht erst seit dem Korruptionsskandal um die Vergabe der Winterspiele 2002 an Salt Lake City weiß man, wie wichtig Bücher wie dieses sind. Nicht zum ersten Mal weisen Kistner und Weinreich auf die unglaublichen Machenschaften im IOC hin, schon manche öffentliche Diskussion haben ihre Bücher angestoßen. Yoshiaki Tsutsumi, reichster Mann Japans und Träger des olympischen Ordens in Gold, beschrieb seine Geschäftsphilosophie einmal so: „Wenn du Geschäfte machen willst, dann musst du fast bis ans Tor des Gefängnisses gehen. Wenn du nicht nahe an das Gefängnis kommst, wirst du niemals etwas Großes erreichen.“ Ratschläge, die mancher Olympier sich wohl zu sehr zu Herzen genommen hat. Und ein Buch, das noch mehr Journalisten und Autoren auffordert, den Lobbyismus und Olympia genauer unter die Lupe zu nehmen. OKE GÖTTLICH

Thomas Kistner/Jens Weinreich: „Der olympische Sumpf. Die Machenschaften des IOC“. Piper-Verlag, 297 Seiten, 34 Mark