Ohne Rausch kein Kater

Nachdem der HSV bei seinem ersten Champions-League-Auftritt das übermächtige Juventus Turin beim 4:4 am Rand einer Niederlage hatte, muss nun die Zukunft des Sitzkissens diskutiert werden

aus Hamburg EBERHARD SPOHD

Manchen Leuten kann man es einfach nicht recht machen. Da meldet sich der Hamburger SV mit Karacho im europäischen Fußball zurück, kämpft das übermächtig erscheinende Star-Ensemble von Juventus Turin nach 1:3-Rückstand nieder und steht kurz vor der Sensation, das ausverkaufte Volksparkstadion tobt, und was sagt Torhüter Hans-Jörg Butt? „Das war mit Sicherheit nicht das größte Spiel meiner Karriere. Ein Riesenspiel macht man nur, wenn man gewinnt.“

Die beiden Teams bereiteten den Zuschauern zwar einen denkwürdigen Abend. Ein 4:4 gegen ein europäisches Spitzenteam beim ersten Auftritt in der Champions League überhaupt hätte vorher wohl niemand von den Hanseaten vorherzusagen sich getraut. Aber der nüchtern denkende Trainer Frank Pagelsdorf wird in den kommenden Tagen viel damit zu tun haben, all die Fehler zu analysieren, die seinem Team unterlaufen sind. „Das war dumm“, äußerte er sich vor den Kameras. Wohl meinte er damit Sergej Barbarez, der mit seinem Trikotgezerre zwei Minuten vor Schluss einen Elfmeter verursachte, hat vielleicht aber auch andere Mannschaftsteile im Kopf. Da war zunächst die unsichere Abwehr, in der vor allem Andrej Panadic über 90 Minuten gelinde gesagt Mühe hatte, seinen Gegenspieler und dreifachen Torschützen Filippo Inzaghi unter Kontrolle zu halten. Da war das Mittelfeld, das in der ersten Hälfte stets versuchte, durch lange, in die Spitze geschlagene Bälle die Angreifer einzusetzen – und regelmäßig daran scheiterte. Juves Abwehrkette rückte geschickt zusammen, jeder lange Pass wurde gedoppelt. Zum Kombinieren blieben den Hamburgern gerade einmal 30 Meter Platz. Und die besseren Spieler waren sowieso auf Seiten der Turiner, allen voran Zinedine Zidane. Sein Gegenspieler Niko Kovac war nach Spielschluss auch entsprechend verzweifelt: „Der holt sich Bälle und schirmt sie ab, dass du nicht an den Ball kommst. Und er hat Bewegungen drauf, da renkt man sich als Gegner die Wirbelsäule aus.“

Letztlich aber brachte sich Juve selbst um den Lohn. Nach der verführerisch beruhigenden 3:1-Führung ließen es Edgar Davids und Co ruhiger angehen. Und Hamburgs Rothosen spielten sich in einen Rausch. Vor allem der eingewechselte Marcel Ketelaer riss durch seine Flügelläufe auf der linken Seite die Abwehr von Juve immer wieder auseinander und bereitete zwei Treffer vor.

Die Italiener verlegten sich stattdessen aufs Lamentieren und zeigten erst kurz vor Ende wieder, dass sich eine clevere und spielstarke Mannschaft durch einen Rückstand nicht aus dem Konzept bringen lässt. So bleiben unter dem Strich für den HSV 300.000 Mark Prämie von der Uefa und die Freude darüber, ein geradezu südländisches Publikum zu haben.

Der europäische Fußballverband muss sich jetzt ernsthaft Gedanken darüber machen, ob Sitzpolster im Volkspark überhaupt noch zugelassen werden. Denn nach Ausgleich und Führungstreffer flogen so viele Warmhaltetextilien auf das Feld, dass das Spiel minutenlang unterbrochen werden musste, um einen ordnungsgemäßen Zustand wiederherzustellen. Außerdem wird der HSV wohl auch in Zukunft mit diesen weinroten Leibchen auflaufen, die er abergläubischer Weise kurzfristig hatte einfliegen lassen: Mit dieser Farbe hatten die Hanseaten schon 1983 Juve im Finale des Landesmeister-Cups besiegt. Und letztlich bleibt die Erkenntnis, dass das Team – wenn es versucht, mit spielerischen Mitteln zum Erfolg zu kommen – durchaus in der Champions League mithalten kann. Auch wenn nicht alle über den Ausgang des Matches glücklich waren. Turins Trainer Carlo Ancelotti präzisierte das in seinem Schlussresümee ganz trefflich: „Beide Teams haben zwei Punkte verloren und einen gewonnen.“

HSV: Butt - Panadic, Hoogma, Hertzsch - Groth (27. Töfting), Kovac, Cardoso (67. Präger), Hollerbach (46. Ketelaer) - Mahdavikia, Yeboah, Barbarez Juve: van der Sar - Tudor, Ferrara, Iuliano (60. Birindelli) - O‘Neill (73. Bachini), Tacchinardi, Davids, Pessotto - Zidane - Inzaghi, del Piero (59. Kovacevic)Zuschauer: 48.500 (ausverkauft)Tore: 0:1 Tudor (5.), 1:1 Yeboah (17.), 1:2, 1:3 Inzaghi (36., 52.), 2:3 Mahdavikia (65.), 3:3 Butt (72./ Foulelfmeter), 4:3 Kovac (82.), 4:4 Inzaghi (88./ Foulelfmeter)