Konzentrische Kreise

■ „Woher: Heimat?“: Interaktive Wortfindungs-Installation in der U-Bahn-Linie 3 Von Petra Schellen

„Heimat – nimmt man sie denn an seinen Schuhsohlen mit?“ Der sich das fragte, war der in Tilsit geborene Autor Johannes Bobrowski (1917 - 65), in den frühen 60er Jahren, in Berlin-Friedrichshagen, wohl wissend, dass er die geographischen, fast archetypischen Prägungen, die all seine Texte durchziehen, niemals loswerden würde.

„Heimat ist das, wovon ich weg gehe“, hat irgendjemand an die Künstlerinnen Kerstin Hof und MAKSA geschrieben, die seit Wochen gesammelte Texte und Fotos in einem Wagen der Linie U 3 zu einer Collage zusammengestellt haben; seit gestern fährt die Bahn durch Hamburgs Untergrund, und wer will, kann die interaktive Installation Woher: Heimat? jederzeit – Postkarten liegen bereit – um eigene Facetten bereichern; das Projekt, das im Rahmen des Festivals EIGENarten stattfindet, soll zeigen, dass es eine klare Definition dieses Wortes nicht geben kann. Häuser, Kinder- und Familienfotos aus Afrika, Asien und unidentifizierten Gegenden blicken einem entgegen, ein bisschen wie eine Ahnengalerie wirkt die Bilderwand, die zwischen Vergangenheit und Zukunft changiert.

„Heimat ist gestern, Zuhause ist dort, wo man das Heute schafft“, hat einer geschrieben, und dies ist vielleicht die interessanteste Frage an der Installation: Findet Heimat in Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft statt, ist sie an Orte gebunden, lebt sie in der Erinnerung, hängt sie an bestimmten Personen? Fast scheint es so, haben doch fast alle Beteiligten alte Familienbilder hervorgekramt. „Ich fühle mich überall zu Hause“, sagt dagegen die aus St. Petersburg stammende Künstlerin MAKSA: „Heimat ist eine Spur, die sich im Lauf des Lebens bildet, ein zunächst enger Kreis, der sich stetig erweitert, von der Wiege zum Haus, zum Dorf, zur Stadt, schließlich zur ganzen Welt. Ich muss immer in Bewegung sein, wie eine Katze ständig mein Revier erweitern“, sagt MAKSA mit feinem Lächeln, und was sie sucht, weiß sie auch noch nicht: „Das läuft nicht geplant ab, aber irgendwann ist immer der Punkt erreicht, an dem ich wieder aufbrechen muss.“ Und vielleicht wird ihr kosmopolitisches Leben sie irgendwann an ihren Ursprungsort zurückführen.

Mit der Zerbrechlichkeit und der Gefährlichkeit von Erinnerungen befasst sich die aus Helsinki stammende Künstlerin JOKINEN, die ein Foto ihrer 1999er Londoner Installation Home 1: Come to finn crisp beigesteuert hat: Auf einem roten Teppich, dann auf Knäckebrot sollten die Besucher wandeln, „damit sie merkten, wie fragil – analog – Erinnerungen sind“, sagt die seit 1977 in Hamburg lebende Finnin. „Ich wollte zeigen, wie schmerzhaft Erinnerungen sein können und dass man manche Türen geschlossen lassen muss“, sagt sie.

Interessante Ironie also, dass unter dem Spruch „Heimat ist Sehnsucht“ im U-Bahn-Wagen die Aufforderung „Türen bei Kälte geschlossen halten“ klebt, und dass die Notbremse gleich daneben prangt. Die Heimat – oder das, was man momentan als solche definiert – als Notbremse? Etwas Vergangenes, anderes, jedenfall vorbehaltlos Fröhlich-Utopisches als letzte Rettung, wenn außen nur Elend dräut? „In der Großstadt hat man seine Heimat aufgegeben“ hat jemand anders dazu geschrieben; wo er sie in sich versteckt hat, steht nicht dabei. Oder haben all jene, die Heimat an einen geographischen Ort und bestimmte Personen knüpfen, bloß versäumt, das Gefühl von Heimat in sich selber zu verlagern, das Gefühl des Geborgenseins an gastlich sich anfühlenden Orten zu entwickeln – oder an Orten, die aus inneren Gründen vertraut sind? Vielleicht alles nicht: Vielleicht haben sie sich längst als heimatlos definiert – und darin ihre neue Heimat gefunden.

Der zum „Heimat-Panorama“ umgestaltete Wagen der U-Bahn-Linie 3 fährt bis zum 15. Oktober; Interessenten können Texte und Bilder senden an: „Woher: Heimat?“, c/o peeng e.V., Winklers Platz 8 in 22767 Hamburg. E-Mail: eigenarten@SchreibZeit.de. Das zugehörige Interkulturelle Festival EIGENarten findet statt von 28. September bis 1. Oktober im Goldbek-Haus.