Wollt ihr den totale Krieg?

Serdar Somuncu liest in der Erlebnisausstellung „The Story Of Berlin“ Josef Goebbels

Er hält nichts von einem Verbot der NPD. Er sieht sich auch nicht als Linksintellektuellen. Serdar Somuncu ist ein Liberaler. Und obschon Somuncu als türkischstämmiger Deutscher in der Bundesrepublik bedroht ist, findet er das Gerede von der rechten Gefahr falsch: „Diese Angriffe gibt es seit mehreren Jahren und jetzt erst fangen alle an zu greinen.“ Dagegen hätte man früher und konsequenter vorgehen müssen. Sein Vorgehen ist: „Adolf“ lesen. Und Goebbels.

Das ist kein Witz: Serdar Somuncu hat bis jetzt zirka 800-mal öffentlich aus „Mein Kampf“ gelesen und liest nun die Sportpalastrede von Dr. Joseph Goebbels – „Wollt ihr den totalen Krieg?“ Doch es geht Somuncu nicht darum, noch einmal die Atmosphäre heraufzubeschwören, die tausende begeistert „Ja“ schreien ließ. Er will zeigen, warum selbst Goebbels dieses Ereignis in seinen Tagebüchern als „Stunde der Idiotie“ bezeichnete. Somuncu entlarvt die schlechte Sprache des bis heute als brillanter Rhetoriker geltendenden Reichspropagandaministers, er verweist auf die fadenscheinigen Herleitungen der Parolen, er entlarvt Goebbels selbst als Idioten. Dabei schreit Somuncu, stützt sich Stefan-Aust-mäßig auf den Tisch, rollt die Augen und kriegt einen roten Kopf.

Das alles geschieht im Rahmen einer „Erlebnisausstellung“, die sich mit diesem besonderen Erlebnis als eine tapfere Kämpferin gegen die rechte Gewalt bewähren will: „The Story Of Berlin“. Dementsprechend war bei der Premiere am Donnerstag eine Schulklasse aus Hohenschönhausen geladen. Zu einem Streitgespräch zwischen Heinrich Lummer und Somuncu kam es allerdings nicht, da die Leitung der „The Story Of Berlin“ zu ihrem Leidwesen feststellen musste, dass sich Lummer und Somuncu in der Frage des NPD-Verbotes einig sind. Also erschien Lummer erst gar nicht.

Im Gegensatz zur merkwürdigen Suche nach Publicity ist Somuncus Umgang mit der NS-Vergangenheit durchaus ein seriöser. Denn während er versucht, Hitler, Goebbels und die restliche NS-Führung als die Witzfiguren darzustellen, die sie waren, verheimlicht er nicht, dass das Volk aus willigen Helfern bestand. So führt er Hitler und Goebbels auf, in der Hoffnung, diejenigen, die sie noch heute für Vorbilder halten, mit schlechtem Deutsch zu quälen, die anderen aber, die Somuncu für „normal“ hält, gegen die Ideologie zu impfen. Er liest also Goebbels-Sätze. Wie den von der „internationalen, bolschewistisch verschleiertern, kapitalistischen Tyrannei“ des „Judentums“.

Das hat leider einen Haken: Es können sich auch jene begeistern, die das Braunhemd trugen, denn nicht der Nationalsozialismus selbst wird vorgeführt, nur seine Leitbilder. Auch in der vereinigten Rechtspresse ist man sich einig, dass Hitler und Goebbels eher „unglückliche“ Führerfiguren waren. Ein alter Mann fühlte sich bemüßigt, nach Goebbels Rede von der „angreifenden Steppe“ nun von „russischen Horden“ zu reden. Das Publikum ist Somuncu nicht anzulasten. Nazis und solche, die die deutsche Nation super finden, sitzen auch in Grass-Lesungen. Somuncu ist kein Historiker. Er ist Schauspieler und liest einen schlechten Text, um zu zeigen, das der schlecht ist. Das macht er gut. JÖRG SUNDERMEIER

Noch bis zum 20. 9. im Ku’damm-Karree, Kurfürstendamm 207-208, 20 Uhr