piwik no script img

taz-olympiakrimi: im schatten der ringeKap. 2: In dem Wayne Bruce zur Eröffnungsfeier geht

Quicklebendig, als Freeman feuert

Was bisher geschah: Afrikanisches IOC-Mitglied im Luxushotel in Sydney ermordet – Kommissar Wayne Bruce ermittelt – Samaranch weiß angeblich von nichts – Kriminalassistentin Wade hat etwas gefunden.

„Hier“, sagte Catherine Wade, „das hatte der tote Thomas Kiwabaki in der Hosentasche.“ Sie reichte Bruce einen kleinen Zettel. „Lesen Sie vor“, raunzte der ungehalten, denn er war nicht gewillt, in aller Öffentlichkeit seine Lesebrille aufzusetzen. „Moment, da muss ich erst meine Lesebrille aufsetzen“, sagte die Polizistin und las dann: „Platz, Sieg oder Tod, Kiwabaki! 12 Uhr Rosehill.“ – „Die Pferderennen“, erkannte Bruce sofort, „da ist doch morgen die Party für die internationalen Medien.“ – „Soll ich hin?“, fragte Catherine Wade hoffnungsvoll, denn sie liebte sowohl Partys als auch Pferderennen, doch Bruce meinte brüsk: „Mach ich selbst.“ Er hatte nämlich gelesen, dass Muhammad Ali in Rosehill sein würde.

Als Wayne Bruce beim Rosehill Racecourse ankam, war Ali noch nicht da. Der Ermittler hatte sich eine passende Akkreditierung umgehängt und einen jener albernen Anglerhüte aufgesetzt, die alle Olympia-Journalisten zur Begrüßung erhalten hatten. Damit fiel er sofort auf. Die Rennen waren bestens besucht und auch in dem für die Medienparty abgeteilten Abschnitt war eine Menge los. „Irgend jemand braucht hier gute Publicity“, dachte Bruce, als er die umherflitzenden Getränkekellner mit ihren vollen Tabletts und die aufgetischten Berge gerösteten Fleisches sah. Zu Ehren von Ali setzte er fünf Dollar auf das Pferd mit Namen „Rumble in the Jungle“ und schlenderte hinüber zum Rednerpult. Schließlich war er im Dienst, was ihn aber nicht hinderte, sich trotz der heißen Mittagssonne einen Becher Bier zu greifen. Olympiaminister Michael Knight betrat das Podium, hielt eine seiner proletarisch angehauchten Reden im besten Aussie-Akzent.

Smarter Bursche, dachte sich Bruce, aber als Mordbube konnte er ihn sich nicht vorstellen. Dann eher Kevan Gosper, den Australier, der so gern IOC-Präsident werden wollte und jetzt das Pult betrat. Bruce wurde hellhörig. Hatte Gosper vielleicht den Zettel für Kiwabaki geschrieben? Der IOC-Vizepräsident, Samaranchs Wachhund gegen kritische Fragen, wirkte jedoch ruhig und gelassen, während er wie üblich von seiner angeblich triumphalen Olympiateilnahme als Ruderer 1956 in Melbourne schwadronierte.

Dann kam Ali. Den hatte Bruce schon immer bewundert, und wie alle anderen Anwesenden rannte er, gleich einem Dreijährigen in Erwartung des Weihnachtsmannes, ins Zelt, als der kranke Boxer nahte. Ali shuffelte langsam zu einem Mikrofon, erklärte brav, dass er „der Größte aller Zeiten“ sei (Gelächter) und shuffelte wieder raus, nachdem er den Anwesenden noch geraten hatte: „Gebt auf euch Acht.“ Ein guter Tip, dachte Bruce und nahm sich vor, Kevan Gosper im Auge zu behalten, zum Beispiel bei der Eröffnungsfeier. „Rumble in the Jungle“ war im übrigen Letzter seines Rennens geworden.

Die Eröffnungsfeier entsprach ziemlich exakt den Erwartungen des alten Sydneysiders Bruce, der mit zehn Jahren in die Stadt gekommen war und demnach seit 40 Jahren hier lebte. Es gab alles, was Australien zu bieten hat: Pferde, Fische, Landarbeiter, Olivia Newton-John, Aborigines und jede Menge Blech. Am besten gefielen ihm der tapsige Taucher, der auf dem Grund herumirrte, als das Stadion kurzfristig in ein Aquarium verwandelt worden war, und das fröhliche Willkommen, das die Ureinwohner in der Inszenierung den ersten Europäern entgegenbrachten. In Wahrheit hatten sie, soviel er wusste, „Warra, warra“ gerufen. Was so viel bedeutet wie: „Haut ab!“ Gut gefiel ihm auch, dass Jugend und schlechtes Gewissen den Vorzug vor Alter und Erfolg erhalten hatten und die Aborigine Cathy Freeman, nicht die Sportlegenden Dawn Fraser oder Betty Cuthbert, die olympische Flamme entzündete.

Lange konnte er sich damit jedoch nicht aufhalten, denn gerade, als das Feuer zu lodern begann, wollte er seinen Augen nicht trauen: Drei Reihen hinter Kevan Gosper saß der vermeintlich tote Thomas Kiwabaki – quicklebendig. MATTI LIESKE

Fortsetzung am Montag

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen