Appell an Union

Grüne fordern die CDU auf, dem Regierungsentwurf für ein Recht auf gewaltfreie Erziehung zuzustimmen

BERLIN taz ■ Eine Ohrfeige hinterlässt mehr als rote Striemen auf der Kinderwange. „Kinder, die Opfer von Gewalt wurden, neigen später dreimal häufiger als andere zu Gewalt“, sagte die Bundesvorsitzende der Grünen, Renate Künast, gestern in Berlin. Auch rechte Brutalität könne man deshalb wirkungsvoll vermeiden, indem man Kinder vor prügelnden Eltern schützt – für Künast noch ein Grund, dem Gesetz zur Ächtung der Gewalt gegen Kinder zuzustimmen.

Die Grünen-Chefin appellierte an die Union, am 29. September im Bundesrat den rot-grünen Entwurf zu unterstützen. Kinderschutz müsse über allem Parteikalkül stehen.

Im Juli hatte der Bundestag das Gesetz gegen die Stimmen der Union beschlossen. Nun sind Künast und Ekin Deligöz, die kinderpolitische Sprecherin der Grünen, zwar optimistisch, dass das Gesetz auch den Bundesrat passieren wird. Doch es gab Irritationen: Ausgerechnet das rot-grüne Hamburg enthielt sich im Rechtsausschuss des Bundesrats der Stimme. Das Gesetz fand keine Mehrheit. „Das war wohl eine Bauch-Entscheidung, die nicht repräsentativ für die Haltung Hamburgs ist“, sagte Deligöz.

Die Union wiederum versichert, natürlich unterstütze sie die Idee, Kindern gewaltfreie Erziehung zuzusichern. Dem Gesetz mag sie trotzdem nicht zustimmen. Der Grund: Sie stört die Formulierung, dass Kinder „ein Recht“ darauf haben. Das suggeriere, das Strafrecht habe sich verschärft. Dabei habe die Regierung lediglich ein moralisches Zeichen gesetzt.

In der Tat weitet das neue Gesetz nicht das Strafrecht aus. Deligöz wehrt sich aber gegen den Vorwurf, nur schöne Worte geschaffen zu haben. Zum Beispiel mussten bisher Jugendämter, wenn sie von prügelnden Eltern erfuhren, erst abwägen: Fällt das noch unter das Recht der Eltern, ihre Erziehungsmethoden frei zu wählen? Nach dem neuen Entwurf aber könnten sie das Recht des Kindes auf Gewaltfreiheit zum Ansatzpunkt nehmen – und so früher einschreiten.

Man müsse sich verabschieden von dem reaktionären Denken, Ohrfeigen und Schläge seien eine Privatsache, sagte Künast. 16 Prozent aller Jugendlichen würden von ihren Eltern misshandelt. Und noch 1986 hatte der Bundesgerichtshof befunden: Es ist keine Straftat, sondern durch die elterliche Erziehungsfreiheit gedeckt, ein Kind mehrfach mit einem Gartenschlauch zu verprügeln.

Künast und Deligöz überlegen nun, wie sie in der Öffentlichkeit für das neue Kinderrecht werben sollen. 2,7 Millionen Mark stehen ihnen zu Verfügung, um gewaltbereite Eltern aufzuklären. Denkbar wäre, so Deligöz, Aufkleber auf Milchtüten oder Cornflakes-Packungen anzubringen. Oder Elternkurse einzurichten, die über gewaltfreie Erziehungsmethoden informieren.

COSIMA SCHMITT