Kampf gegen das Pathos

■ „Songs: Ohia“ überzeugten mit einem unaufdringlichen Konzert im Lagerhaus

Käme jemand auf die Idee, ein Remake von Sherwood Andersons Kleinstadt-Episodenroman „Winesburg, Ohio“ zu schreiben, wir fänden vielleicht eine Szene wie diese: In einem Club am Rande der Stadt, der schon bessere Tage gesehen hat, sitzt ein Mann hinter einem Klavier. Er trägt eine Latzhose, aber das tut nichts zur Sache. „My name is Parker Paul.“ Die älteren Herrschaften, die hier ihren Sonntagnachmittag verbringen, applaudieren zurückhaltend. Parker Paul beginnt zu singen. Die Stimme klingt wie Lou Reed nach einer schlaflosen Nacht. Aber nur ein wenig. Irgendwann stehen einige auf, tanzen zu den getragenen Melodien. Gesang und Spiel wirken brüchig, aber charmant. Nichts ist zu spüren von der kleinbürgerlichen Schmierigkeit der Alleinunterhalter, wenn Parker Paul sein Programm präsentiert. Getragene Popsongs, alte Varietegeschichten im Blues-, Rag- oder Boogiestyle. Und Zeilen wie: „Pain is boring“.

Dass Parker Paul im Lagerhaus vor „Songs: Ohia“ spielte, hängt sicher damit zusammen, dass ihre Label „Jagjaguar“ und (schön!) „Secretly Canadian“ hierzulande den gleichen Vertrieb haben. Aber auch damit, dass Brüchigkeit und trockene Sounds beider Musik dominiert. Das Programm, das sie am Freitag im dunklen Kioto-Saal zum Besten gaben, lässt sich als eine Kampfansage an das Pathos hören.

So lässt sich die Musik von „Songs: Ohia“ vielleicht am ehesten dadurch beschreiben, was sie nicht ist. Mitte der 80er, sagt Songwriter Jason Molina, habe er so ziemlich jeden Black-Sabbath-Song gelernt und versucht, so hoch zu singen wie Ozzy Osbourne. Zum Glück hat er dies Unternehmen aufgegeben. Und damit gleich das unerträglich Pathetische der so genannten Rockballade. Andererseits fehlt „Songs: Ohia“, deren Instrumentierung und Outfit sie als Collegeband ausweist, die Affektiertheit von Bands wie R.E.M. Aber eine Negativbestimmung macht noch keinen guten Konzertabend.

Selten war in letzter Zeit zu erleben, dass die Performance sich so weit von dem zu betourenden Material der letzten Platte entfernt. Wenngleich „The Lioness“ und das Konzert den melancholischen Gestus teilen und das unaufgeregt distanzierte Herangehen an Einsamkeit und unerfüllte Liebe, es sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Allerdings beide in der Größe Molinas. Während auf „The Lioness“ das Verklingen der Gitarrensounds eine größere Rolle spielt, das Soloinstrument in Singer/Songwritertradition überhaupt weiter im Vordergrund steht, scheint viel Material für die Bühne umarrangiert zu sein. Vieles ist lauter, auch einen Tick schneller. Und oft mischt sich eine deutliche Referenz an Neil Youngs Crazy Horse in die Songs.

Der kleinste gemeinsame Nenner nebenbei gesagt: Beides funktioniert unterschiedlich, aber eben gleich gut, was für die atemberaubende Qualität dieser unaufdringlichen Songs spricht ist die Stimme Molinas. Die verschluckt eine ganze Menge Text. Nicht, weil er nuscheln würde. Eher erinnert sein Gesang an den späten Mark Hollis, der das Ausklingen der Verständlichkeit vor dem Satzende als Ausdrucksform perfektioniert hat.

Der Gesang passt sich so bruchlos in den Gesamtsound ein. Der ist schön, mitreißend, berührend. Und die sinnigsten Worte, das zu beschreiben, stammen von Molina selbst. Der Refrain eines Songs gegen Ende besteht aus der unendlichen Wiederholung von „I'm fading“.

Wenn dann die vier Musiker sich Zeit nehmen, die Musik sich ruhig entwickeln lassen, leisten sie exakt so viel, wie man von ihnen erwartet. Und das ist eine ganze Menge. Der Rest ist für zu Hause. Excuse me, Sir, do you know, where the next recordstore is? Must be an Ohio smalltown.

Tim Schomacker