taz-olympiakrimi: im schatten der ringe
: Kap. 3: In dem Wayne Bruce über Ian Thorpe grübelt

Der Koffer und der falsche Bulle

Was bisher geschah: Das afrikanische IOC-Mitglied Thomas Kiwabaki wird ermordet – doch plötzlich sieht ihn Ermittler Wayne Bruce bei der Eröffnungsfeier putzmunter im Olympiastadion sitzen.

Wayne Bruce wartete, bis die flammende olympische Salatschüssel endlich ihren Weg nach oben gefunden hatte, und drängelte sich dann zu dem Wesen durch, das eigentlich nur ein Geist sein konnte. Er stellte sich kurz vor und kam mit australischer Direktheit gleich zur Sache. „Hören Sie, Kumpel, ich dachte, Sie wären tot.“ Das in feinen Zwirn gewandete Gespenst verzog keine Miene, löste sich aber auch nicht erschreckt in Luft auf. „Sie sprechen von meinem Bruder. Ich bin Samuel Kiwabaki.“ – „Zwillinge?“, fragte Bruce. „Das denken alle, aber wir sind ein Jahr auseinander.“ – „Seit wann sind Sie in Sydney?“ – „Seit heute. Ich bin sofort losgeflogen, als ich die Nachricht erhielt.“ – „Und dann gehen Sie gleich ins Stadion?“ – „Kevan meinte, das sei besser, als traurig im Hotel herumzuhängen.“ Bruce wurde hellhörig. „Kevan? Gosper?“ – „Ja, er ist ein guter Freund der Familie.“

Das klang interessant, fand Bruce und verabredete für den nächsten Tag einen Termin mit Samuel Kiwabaki, bevor er sich auf den Heimweg machte. In der Innenstadt musste er höllisch aufpassen, nicht über eine der auf der Fahrbahn herumliegenden Bierleichen zu fahren oder einen der Verrückten zu rammen, die sich mit „Aussie, Aussie, Aussie“-Gebrüll vor seinen Kühler warfen. Eine selten dumme Idee, die Eröffnungsfeier ausgerechnet auf Freitag zu legen, jenen „Demolition Day“, an dem ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung Sydneys allwöchentlich ohnehin die Verpflichtung fühlt, sich bis zur Besinnungslosigkeit zu besaufen. Freitag und Olympia-Party, das war eine brisante Mischung, die verdammt nach Delirium tremens roch.

Samuel Kiwabaki erwies sich als sehr zuvorkommender Mann. Er berichtete, dass IOC-Vizepräsident Gosper mehrmals in Botswana auf dem Landsitz der Familie gewesen sei, konnte aber nicht sagen, was ihn dort hingetrieben hatte. „Er führte Gespräche mit meinem Bruder, meist zogen sie über andere IOC-Mitglieder her, soweit ich das mitbekam, besonders über einen gewissen Tröger. Die übrige Zeit erzählte er, wie er 1956 in Melbourne als Ruderer an Olympia teilgenommen hatte.“ – „Hatte er denn irgendwelche Geschäftsverbindungen mit Ihrem Bruder?“ „Das hat Ihr Kollege auch schon gefragt. Nicht dass ich wüsste.“ – „Mein Kollege? Welcher Kollege?“– „Na, der, der vor zwei Stunden hier war.“ – „Interessant, was hat der Kollege denn noch so gefragt?“ – „Ob mir mein Bruder vor seiner Abreise irgendetwas in Verwahrung gegeben hat?“ – „Und? Hat er?“ – „Oh ja, ein kleines Köfferchen. Ich habe es Ihrem Kollegen vorhin ausgehändigt.“

Den Schock musste Wayne Bruce erst mal verdauen, deshalb machte er kurzerhand Feierabend und fuhr nach Hause. Der Koffer war vermutlich der Schlüssel zu dem Fall, aber den konnten sie abschreiben, denn wenn der so genannte Kollege eines mit Sicherheit nicht war, dann ein Polizist. Und die Beschreibung, die Kiwabaki von dem Mann gegeben hatte, würde ihnen kaum weiter helfen: „Na ja: Weiß.“

Zum Trost sah sich Bruce im Fernsehen an, wie der Schwimmer Ian Thorpe die erste Goldmedaille für Australien gewann. Großartiger Bursche, dachte der Kommissar, auch wenn er seine Wachstumsphase noch nicht ganz abgeschlossen hat. Welcher Teufel allerdings die Bank Westpac, Sponsor von Australiens Olympiamannschaft, geritten hatte, in der ganzen Stadt riesige Plakate mit Thorpes Konterfei aufzuhängen, auf denen man mit brachialer Deutlichkeit die gewaltige Nase, das markante Kinn, die spitzen Draculazähne und die langen Ohrläppchen sah, und dann darüber zu schreiben: „Wie macht er das nur?“, das würde ihn wirklich interessieren. Als er noch über diese Frage grübelte und spät am Abend gerade sein drittes Bier öffnete, dachte er über die überstürzte Abreise von Juan Antonio Samaranch nach. Der Mann verlässt sein geliebtes Olympia-Baby, weil seine Frau angeblich krank ist: Merkwürdig. Da klingelte plötzlich Unheil verkündend das Telefon. MATTI LIESKE

Fortsetzung morgen