Mörderischer Krieg auf der Insel Jolo

Nach Beginn der Militäraktion gegen die Kidnappertruppe Abu Sayyaf ist die Insel Jolo völlig abgeriegelt. Über die Zahl der Toten und das Schicksal der Geiseln gibt es nur Vermutungen. Europäische Regierungen kritisieren die Militäraktion

BANGKOK taz ■ Die Hoffnung auf ein friedliches Ende des Geiseldramas auf Jolo ist zerstört: Das philippinische Militär bombardiert seit dem Wochenende die Hochburgen der Abu-Sayyaf-Kidnappertruppe. Tag und Nacht sind in der Umgebung der Stadt Jolo Kampfflieger und Hubschrauber zu hören. Tausende Soldaten sind auf der südphilippinischen Insel gelandet.

Das Schicksal der 22 Geiseln, die noch in der Gewalt verschiedener Splittergruppen der Abu Sayyaf waren, blieb bis gestern Abend unklar. „So weit wir die Lage einschätzen, leben sie offenbar noch“, sagte Verteidigungsminister Orlando Mercado. Damit widersprach der Minister Gerüchten, wonach die Rebellen den 24-jährigen Amerikaner Jeffrey Schilling und zwölf evangelische Fundamentalisten ermordet hätten. Die zwei im Juli gefangenen französischen TV-Leute, drei Malaysier und weiterere vier Philippiner sollen von ihren Kidnappern von Versteck zu Versteck getrieben werden.

Zu Tausenden flüchteten am Wochenende verängstigte Bewohner aus den Dschungeldörfern in der Nähe der Abu-Sayyaf-Camps in die Inselhauptstadt Jolo. Über die Opfer gibt es keine unabhängigen Angaben. Gerüchten zufolge soll die Zahl der Toten unter der Zivilbevölkerung sehr hoch sein.

Präsident Joseph Estrada, der gestern in den Süden des Landes reiste, hatte seinen Befehl für die Offensive der Armee am Samstag in einer Fernsehrede bekannt gegeben. Fünf Monate lang habe seine Regierung sich zurückgehalten und versucht, die Geiseln friedlich zu befreien, erklärte er. Doch die Geduld mit den Kidnappern sei nun zu Ende: „Genug ist genug. Ich bin fest entschlossen, diesem Verrat und Banditentum ein Ende zu bereiten, das die Abu Sayyaf über unsere Gesellschaft gebracht haben.“ Abu Sayyaf solle komplett zerschlagen werden, erklärten auch Militärs in Zimboanga.

Das Militär riegelte die Insel ab, stoppte den gesamten Fährverkehr, schloss den Flughafen für zivile Maschinen, kappte die Telefonverbindungen und verhängte eine Nachrichtensperre.

Der Angriff kam nicht überraschend. Es war der dreiste Überfall auf die malaysische Tacherinsel Padanan vor einer Woche, der das Fass zum Überlaufen brachte: Ausgerüstet mit schnellen Motorbooten hatten Kidnapper erneut drei Geiseln genommen und als „Nachschub“ zu den Abu Sayyaf transportiert. Nach Berichten des militärischen Geheimdienstes sollen die Abu Sayyaf Schnellboote in Richtung Indonesien, Malaysia und andere philippinische Ausflugsorte ausgesandt haben, um weitere ausländische Geiseln zu fangen.

Inzwischen haben die französische, deutsche und malaysische Regierung den Militärschlag kritisiert. Frankreichs Präsident Jacques Chirac erklärte, er mache die philippinische Regierung für das Überleben der französischen Geiseln haftbar. Die Franzosen hätten sich schließlich freiwillig in die Hand der Abu Sayyaf begeben, als sie die Geiseln im Lager interviewen wollten, erklärt man in Manila.JUTTA LIETSCH