Grundrechte gefährdet

Ausweitung von Polizeibefugnissen führt zur Einschränkung bürgerlicher Freiheiten, beklagen Experten. Unabhängige Polizeibeauftragte sollten Behörden kontrollieren

SCHMITTEN taz ■ Die Veränderungen in der Polizeiarbeit und ihre gesetzlichen Rahmenbedingungen gehen fast durchgängig zu Lasten bürgerlicher Freiheiten und der Grund- und Menschenrechte. Zu diesem Befund kamen die 60 TeilnehmerInnen der Jahrestagung des „Komitees für Grundrechte und Demokratie“, die am Wochenende in Schmitten im Taunus stattfand.

Schlimmstes Beispiel, das auf der Tagung diskutiert wurde: In seinem Grundrechtskommentar hält der Rechtswissenschaftler Christian Starck inzwischen in Ausnahmefällen, „wenn es im konkreten Fall kein anderes zumutbares Mittel gibt, das Leben von bedrohten Menschen zu retten“, auch die polizeiliche Folter für zulässig.

Allgemein, so stellte der Hamburger Soziologe Fitz Sachs in Schmitten fest, sei die Gesellschaft „auf die Mittel des Strafrechtes fixiert, wie es vorher nicht zu beobachten war“. Neben der Ausweitung von Polizeibefugnissen sei die Verhütung von möglichen Straftaten zur „Allzweckwaffe“ geworden und dehne sich schon auf Ordnungswidrigkeiten aus.

Der rasanten Ausweitung von Präventionsmodellen widmen sich die PolizeiforscherInnen des Berliner „Institutes für Bürgerrechte und öffentliche Sicherheit“. Bundesweit ist die Zahl von Präventionsräten oder Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften seit 1998 auf knapp 1.500 gestiegen. Sie sollen das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung stärken und die Polizei in die Lage versetzen, zeitnäher und flexibler zu reagieren. Bürgernahe Polizeiarbeit, so Norbert Pütter, finde jedoch meist ohne jedes Konzept statt und führe in der Praxis dazu, dass auch „ungehöriges Verhalten“ unterhalb der Strafbarkeitsgrenze zu polizeilichen Maßnahmen führe. Außerdem seien die ausufernden Detailbestimmungen in den Polizeigesetzen kaum noch überschaubar.

Für den Verfassungsrechtler Martin Kutscha spricht deshalb viel dafür, dass immer neue Eingriffsermächtigungen eine „Reservefunktion zur Herrschaftssicherung bei zukünftigen Krisen“ erfüllen sollen. Eine These, der auch die anwesenden Polizeibeamten zustimmten.

Eine effektive Kontrolle der Polizei, so das „Bonner Forum BürgerInnen und Polizei“, sei insoweit „nicht nur das Recht, sondern die Pflicht einer Gesellschaft“. Es fordert die Einrichtung von Polizeibeauftragten, die vom Landtag gewählt und keiner Fachaufsicht durch die Regierungen unterliegen sollen. Sie müssten jederzeit Zutrittsrecht zu Polizeidienststellen und ein umfassendes Auskunfts- und Akteneinsichtsrecht erhalten. Dass dies durchsetzbar ist, wurde von vielen Teilnehmern der Tagung allerdings bezweifelt.

OTTO DIEDERICHS