Verhängnisvolles Hühnerbein

Halbseidene Verführerin mit Todestrieb: Eine Ausstellung im Haus Ungarn feiert den 20er-Jahre-Star Lya de Putti

Wahrscheinlich wird sich kaum jemand an einen Film mit Lya de Putti erinnern, aber vielleicht an eine der vielen, wunderbar halbseidenen Verführerinnen, die sie in den 20er-Jahren in Hollywood gespielt hat: Kabaretttänzerinnen, schöne russische Revolutionärinnen und Gangsterbräute. Viel Glitter, viel Augenrollen und alles sehr fatal. Dabei hatte sie einiges mit Marlene Dietrich gemeinsam: Beide spielten immer wieder Vamps mit dieser bestimmten Art von Verruchtheit, die dazu führt, dass sich die männlichen Opfer in jeder Hinsicht ruinieren. Beide gingen nach den ersten Erfolgen von Europa nach Hollywood, und beide hatten ihren internationalen Durchbruch mit Filmen, in denen sie als laszive Verführerinnen zielstrebig den moralischen Verfall von Emil Jannings in die Wege leiten. Außerdem fand sich für beide Diven post mortem jeweils ein hingebungsvoller Sammler, der vom Schminkdöschen über die Zigarettenspitze bis zum kleinsten Kleiderfetzchen alles Nachgelassene liebevoll archivierte.

Was für die Dietrich ihr Durchbruchsfilm „Der Blaue Engel“, war für de Putti E. A. Duponts Stummfilm-Welterfolg „Variété“ (1925). Jannings spielt einen Schaubudenbesitzer, der wegen der geheimnisumwehten Femme fatale mit den dunklen Augenringen seine Frau verlässt, seinen Partner umbringt und am Ende wieder mal ganz, ganz unten landet.

Natürlich blieb die 1896 in Ungarn geborene Lia Putti im Vergleich mit der Dietrich ein kleines Sternchen am Hollywoodhimmel. Bescheidene Berühmtheit erlangte sie vor allem wegen ihres tragischen Todes und einer irgendwie auch tragischen Karriere. Nach einer frühen Ehe lässt de Putti Ehemann und Kinder sitzen, um ein Star zu werden. Nach dem Ersten Weltkrieg landet sie in Berlin, wo sie von Joe May für „Das indische Grabmal“ entdeckt wird. In den 20er-Jahren waren de Puttis Filme Millionenerfolge, als sie 1931 starb, war sie, wie ein Zeitgenosse schrieb, „unbekannt geworden wie ein Dorf im hintersten China“. „Live hard, die young“ war sozusagen schon damals ihr Motto, oder, wie auf einer ihrer jetzt in Berlin ausgestellten Postkarten zu lesen ist: „Leben lieben und den Tod nicht fürchten.“

Die Ausstellung im Haus Ungarn ist durchweht von dieser merkwürdig morbiden Nostalgie, die immer dann im Raum schwebt, wenn persönliche Gegenstände unter Vitrinenglas ausgestellt sind. De Puttis Sammler, der Chirurg Dr. Johannes Zeilinger, hat ganze Arbeit geleistet: neben Postkarten, Filmstills und den klassischen Diven-Accessoires wie Fächer, Federboas, Schmuck und Persianer sind auch jede Menge private Dinge wie Lockenscheren, Kindheitsfotos und interessante (Drogen?-)Utensilien ausgestellt.

Der morbide Touch passt zum seltsamen Todestrieb der Schauspielerin – und zu ihrem hochdramatischen Ende: Schon 1925 hatte sich die immer wieder unter Depressionen leidende de Putti von ihrem Balkon in der Schöneberger Wohnung gestürzt, landete aber nur leicht verletzt im winterlichen Vorgarten. 1931 unternahm sie aus Liebeskummer einen Hungerstreik, unterbrach ihn aber heimlich, um hastig ein Hühnerbein zu verschlingen. Dabei bohrte sich der Knochen in ihren Hals. Wenig später starb „The Vamp of Berlin“ im Krankenhaus.

KATJA NICODEMUS

„Lya de Putti – Vamp und Engel“. Bis 15. Oktober werktags von 10 bis 18 Uhr, Haus Ungarn, Karl-Liebknecht-Str. 9, Mitte