Preisnachlässe, Energieschecks, Subventionen

Auch die anderen EU-Regierungen kämpfen weiter mit den Folgen der Preisproteste. Europaweit gibt es inzwischen Zugeständnisse

BERLIN taz ■ „Ich glaube, wir haben alle den entflammbaren Charakter des Themas Spritpreise unterschätzt“, sagte gestern in bemüht britischem Understatement Martin O’Neill, der Parlamentssprecher für Handel und Industrie der britischen Labour-Partei. Die Popularität der Labour-Regierung fiel auf einen neuen Tiefststand. So wurde denn auch eine „Fuel Task Force“ ins Leben gerufen. Die hochrangige Gruppe tagte gestern erstmals, wird mit der Industrie sprechen und dann ihre „budgetwirksamen“ Schlüsse ziehen. Soweit erkennbar, wird es also auch auf den Britischen Inseln Zugeständnisse geben.

Immerhin wurden gestern aus britischen Supermärkten keine Panikkäufe mehr gemeldet. Die Schlangen an den Tankstellen sind weitgehend verschwunden. Außer in Wales haben auch die betroffenen Schulen wieder geöffnet, der Alarm im Gesundheitswesen wurde abgeblasen. Laut dem Sender BBC erwägt die Labour-Regierung, die Ölversorgung offiziell zu einem „essential service“ zu erklären, ähnlich wie zum Beispiel Wasser oder Strom. Damit wären Ölkonzerne gezwungen, die Lieferungen zu jeder Zeit sicherzustellen, die Polizei könnte im Handumdrehen gegen Blockierer vorgehen.

Inzwischen ist die Mehrheit der europäischen Länder von Protesten betroffen. Am Wochenende störten Lkw-Fahrer den Fährbetrieb in Helsingborg in Schweden. Diverse andere skandinavische Häfen und auch Raffinerien sollen folgen. Die schwedische Regierung hat eine Senkung der Energiesteuern ausgeschlossen. Zwei Ölkonzerne haben aber niedrigere Preise angekündigt – angeblich der fallenden Weltölpreise wegen. In Norwegen sollen die Hauptölhäfen blockiert werden. Trotz eigener Öl- und Gasvorkommen sind dort die Spritpreise die höchsten in Europa.

Belgien erholt sich langsam wieder von den Folgen der Straßensperren. Tausende Arbeiter streikten gestern allerdings für billigeres Heizöl, vor allem Metallarbeiter in der Region Lüttich. Die Gewerkschaften forderten eine Rückkehr zur 1993 abgeschafften Koppelung der Lohnentwicklung an die Preise von Heizöl und Benzin. Die Regierung will hingegen nur mit „Energieschecks“ in Höhe von maximal 250 Mark sozial Bedürftigen helfen. Hollands Regierung gab den einwöchigen Protesten von Transportunternehmen gegen die hohen Spritpreise nach und will Millionensubventionen in die Branche pumpen, hieß es am Samstag im niederländischen Fernsehen. Die Kehrtwende sieht einmalige Zuschüsse an Taxi-, Bus und Lkw-Unternehmen von fast 750 Mio. Gulden (665 Mio. Mark) vor.

Die irische Regierung will im Dezember einen neuen Haushalt verabschieden, in dem es Zugeständnisse an die Dieselkunden geben soll. Doch die Spediteure wollen mit einer Fortsetzung ihrer Schnecken-Konvoi-Taktik schnellere Beschlüsse erzwingen.

Kommendes Wochenende kann auch die Bundesregierung internationales Protestflair schnuppern: Die spanischen Landwirte haben Proteste auf dem deutsch-spanischen Gipfel in Segovia angekündigt. Die spanische Regierung will bei den Spritsteuern hart bleiben, hat jedoch andere Zugeständnisse angekündigt. Fischer blockierten den wichtigen Frachthafen Barcelona, Bauern landesweit Tanklager.

In Italien gab die Regierung nach. In Verhandlungen mit den Gewerkschaften vereinbarte sie, die Preise für Benzin zu senken. Auch Polen, Tschechien, Slowenien, Ungarn und Israel sind betroffen, aber nur in geringem Umfang.

Alle wollen an den Erfolg der Proteste in Frankreich anknüpfen. Lkw-Fahrer hatten dort das Land eine Woche lang trockengelegt, indem sie die Ausgänge der Raffinerien dicht gemacht hatten. Überall im Land waren die Tankstellen tagelang ohne Sprit. Fischer und Bauern blockierten Häfen und Straßen. Die Regierung hatte in Verhandlungen mit Berufsverbänden der Landwirte und der kleinen Transportunternehmer eine Aufhebung der Blockaden erreicht. Paris hatte eine Senkung der Dieselsteuer für Lkws von derzeit 2,57 Franc um 35 Centimes (10,5 Pfennig) pro Liter für das laufende Jahr zugesagt, im Jahr 2001 soll diese Ermäßigung um 10 auf 25 Centimes (7,5 Pfennig) zurückgenommen werden. Zusätzlich stellte die Regierung am Wochenende Erleichterungen bei der steuerlichen Anrechnung von Diesel-Mehrausgaben in Aussicht. Den Landwirten, die in Frankreich das steuerlich günstigere Heizöl tanken dürfen, wurde die bereits zugesagte Steuersenkung um 30 Prozent nun rückwirkend zum 1. Januar 2000 gewährt.

Die Zugeständnisse hatten zu starken Spannungen innerhalb der Pariser Linkskoalition aus Sozialisten, Kommunisten und Grünen geführt. Die französischen Grünen kritisierten die Konzessionen an die Lkw-Branche scharf. Verkehrsminister Jean-Claude Gayssot schätzte die Hilfen auf rund 1 Milliarde Franc (300 Millionen Mark), die französische Presse errechnete jedoch Kosten von umgerechnet 1,9 Milliarden Mark.

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