up over: Olympia Berlin 2000
Ratte und Zecke
Bei mir zu Hause liegt noch ein Paar schmuddelig-gelbe Socken, auf denen ein stilisiertes Bärengesichtchen und die Aufschrift „Berlin 2000“ auch nach 100-maliger Wäsche einfach nicht rausgehen wollten. Wenn ich in Sydney wäre, würde ich sie tragen, sogar in offenen Sandalen, iiih, und immer wenn irgend jemand vom Pferd oder Turnpferd oder vom Rad fällt, würde ich schadenfroh mit den hässlichen gelben Mauken scharren.
Natürlich nur, um damit den Australiern und der ganzen Welt zu zeigen: Seid doch froh, dass das Ganze nicht in Berlin passiert ist. Was wäre das alles schrecklich, wenn es doch die nieselig-fieselige deutsche Hauptstadt getroffen hätte. Nicht auszudenken!
Bzw. doch auszudenken: Schon die Eröffnung. Live aus dem neu gebauten Olympiastadion, das sich vermutlich nicht allzu sehr von Speers etwas älterem Entwurf unterscheidet. Harald Juhnke (einer der prominenten Olympia-Befürworter von 1993) versucht, die von Dieter Bohlen komponierte Olympia-Hymne zu singen. Vergisst aber seinen Text und summt stattdessen den Ohrwurm „Großer Bruder“ von Zlatko. Verona Feldbusch moderiert im Wechsel mit Thomas Gottschalk. 140 mopsige Birkenstockträger mit dressierten Kampfhunden treten auf: Sie setzen ihnen Maulkörbe ab, und dann fressen die Hündchen auf Kommando die fünf auf dem Stadionboden ausgelegten olympischen Ringe aus Deutschländer-Würstchen auf.
Das olympische Feuer wird von Kahlköpfen per Molotow-Cocktail entzündet. Der neugebaute, schnelle Olympia-Express saust in eine falsch gestellte Weiche – er wurde von der Deutschen Bahn gewartet. Und erst die Wettkämpfe! Die Triathleten paddeln durch den tümpeligen Landwehrkanal und fördern alle Nase lang Currywurstspießchen und Spraydosen vom U-Bahn-Sprühen zutage. Beim Beachvolleyball regnet es, und plötzlich schmeißen sich die Spieler nicht mehr so gerne in den nassen, harten, aus der Baustelle Potsdamer Platz herangekarrten Sand. Aus dem Publikum schreit einer „Geh doch zurück nach Sana’a!“, als ein Ringer aus dem Jemen antritt. Der Sportler fährt mit der S-Bahn weinend zurück in seine Wellblech-Bude in Berlin-Lichtenberg, nachdem der Bezirk Prenzlauer Berg sich geweigert hat, sich durch olympische Dörfer kaputtsanieren zu lassen. Die drei Maskottchen sind die Ratte „Ratte“, die Taube „Zecke“ und der Kampfhund „Seuche“.
Berlin NOlympic City! Sydney GoGoGo! JENNY ZYLKA
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