Das größte Drittel der großen Mauer

Der chinesische Basketballer Ming Yao ist mit 2,27 Metern der längste Olympia-Teilnehmer und träumt von der NBA

SYDNEY taz ■ Ming Yao hat sich längst daran gewöhnt, dass er die Welt aus einer anderen Perspektive sieht als die Allgemeinheit. Und dass umgekehrt die Menschen ihn anschauen, als sei er eben aus Dr. Frankensteins Labor entsprungen. 2 Meter und 27 Zentimeter misst der chinesische Basketballer und ist so der Längste bei Olympia. Allen Witzbolden versichert er, dass die Luft da oben ganz gut sei, und dass die Betten im Olympischen Dorf natürlich viel zu kurz seien. Aber das werde mit Routine gelöst: Transportable Bettenverlängerungen, variabel in Höhe und Breite, sind stets im Gepäck, wenn die chinesische Basketball-Nationalmannschaft auf Reisen ist. Denn mit Wang Zhizhi (2,15 m) und Menk Bateer (2,10 m) gehören noch zwei weitere Riesen zum Team. In China nennen sie das Trio respektvoll „die große Mauer“.

Schon seit geraumer Zeit haben auch die Spione der National Basketball League die Riesen aus dem Reich der Mitte im Visier. 1998 hatte Superstar Michael Jordan höchstpersönlich Ming für NBA-tauglich befunden und den Vereinsbossen der Chicago Bulls geraten, den Center der Shanghai Sharks unter Vertrag zu nehmen. Doch Ming durfte nicht gehen – noch nicht.

Ein Jahr später scheint der Widerstand zu bröckeln. „Ich habe die Erlaubnis, dass ich in die USA gehen darf“, sagte Ming Yao überraschend nach der chinesischen 72:119-Niederlage im Auftaktspiel gegen das US-Dreamteam. Nur für welchen Klub er dann spielen werde, sei vorläufig noch unklar. US-Basketballexperten gehen inzwischen davon aus, dass Ming nur der Anfang einer Welle von human towers (menschlicher Türme) aus China sein wird.

Für viele der 200 Millionen registrierten Basketballer Chinas kann die NBA zum realistischen Traumziel werden. Ihr größtes Kapital wird die Größe sein, denn wie Donn Nelson, der Assistenztrainer der Dallas Mavericks, so schön bemerkt hat: „Größe kann man nicht lehren.“ Soll halt heißen: Alles andere schon, und wo besser als in den USA? 100 Basketballer, die über zwei Meter groß und unter 24 Jahre alt sind, sollen sich in den chinesischen Provinzklubs und Sportschulen tummeln. Und wenn das den Scouts der NBA-Clubs nicht ausreichen sollte, können sie es immer noch in der Jugendabteilung von Wasserball-Vereinen versuchen. Ming Yao hatte bis ins Alter von 13 Jahren ebendiesen Sport ausgeübt. Dann musste er wechseln – weil er mit seinen damals genau zwei Metern Länge auf dem Boden stehen konnte. RALF MITTMANN