„Elementare Kenntnisse fehlen“

Professor Titus Simon fordert professionelle Konzepte gegen rechts statt billigerer ABM-Maßnahmen

taz: In den Ost-Ländern werden Jugendsozialarbeit und interkulturelle Sozialarbeit oft von nicht ausgebildeten ABM-Kräften geleistet. Während zu Beginn der 90er-Jahre noch hoch motivierte Leute auf diese Stellen vermittelt wurden, schicken die Arbeitsämter heute vor allem schwer vermittelbare Arbeitslose ohne pädagogische Qualifikation . . .

Titus Simon: Gerade Arbeit mit rechten Jugendlichen und interkulturelle Sozialarbeit würden sehr spezifische Qualifikationen erfordern, doch viele Kommunen setzen unausgebildete Kräfte ein. Empirischen Studien zufolge liegt in den Großstädten Halle, Leipzig und Magdeburg der Anteil der professionell Ausgebildeten in der Jugendsozialarbeit und interkulturellen Sozialarbeit zwischen 20 und 50 Prozent, in ländlichen Regionen im Osten unter 10 Prozent. Im Landkreis Stendal in Sachsen-Anhalt beschäftigen beispielsweise 48 von 60 Jugendeinrichtungen nicht eine professionelle Kraft.

Wie kommen die ABM-Kräfte mit rechten Jugendlichen zurecht?

Natürlich gibt es einzelne, die aufgrund ihrer Persönlichkeit dieser Arbeit gut gewachsen sind. Aber in der Mehrheit können sie nicht konzeptionell arbeiten. Vielen fehlen elementare Kenntnisse zur Struktur des Rechtsextremismus und zum Dritten Reich. Sie können Musik und Symbolik der rechten Szene nicht erkennen. Die Kommunen als Träger der Jugendarbeit halten es aber oft nicht einmal für nötig, den ABM-Sozialarbeitern fachliche Qualifikation oder Supervision anzubieten.

Dennoch erwartet die Politik von der Sozialarbeit, dass sie das Problem rechter Orientierungen bei Jugendlichen irgendwie löst.

Kontraproduktiv sind die Erwartungen der Politik vor allem dann, wenn sie soziale Konflikte auf Sozialarbeit abschieben will und sich selbst aus der Pflicht nimmt, etwa: Da habt ihr einen Raum und einen Sozialarbeiter, nun seid Ihr weg von der Straße. Vor einer Jugendsozialmaßnahme sollte normalerweise eine Sozialraumanalyse stehen, die von Politik, Verwaltung und Sozialarbeit gemeinsam erarbeitet wird. Übrigens scheuen die Landesjugendämter aller neuen Bundesländer die Auseinandersetzung mit den Kommunen. Sie müssten eigentlich auf das Defizit analytischer Arbeit hinweisen.

Welche Auswirkungen hat die Unprofessionalität Ihres Berufsstandes auf das Berufsbild des Sozialarbeiters?

Wenn Verwaltungen immer wieder die Erfahrung machen, dass Sozialarbeit wenig bringt, versuchen sie gar nicht erst, professionelle Konzepte anzugehen, die mehr Geld kosten als ABM-Maßnahmen. Stattdessen wird nach ordnungspolitischen Ansätzen gerufen. Unter den Studierenden der Sozialarbeit interessiert sich ein sehr geringer Teil für die Arbeit mit rechten Jugendlichen. Viele Studierende haben Angst vor gewaltbereiten Rechten.

Die Arbeitszeiten in diesem Bereich sind familienunfreundlich. Es gibt praktisch nur Zeitverträge mit magerer Bezahlung. Tragen nicht auch diese ungünstigen Rahmenbedingungen zur geringen Attraktivität der Jugendsozialarbeit bei, die doch von Politikern gegenwärtig als so wichtig im Kampf gegen den Rechtsextremismus gewertet wird?

Sicher. Hinzu kommt, dass wegen dieser ungünstigen Bedingungen gute Leute in andere Arbeitsgebiete abwandern.

INTERVIEW MARINA MAI