Ein Homevideo vom Tod

■ In „Ich sterbe und ich lebe“ begleitet die Filmemacherin Gerburg Rohde-Dahl eine Freundin mit äußerster Radikalität beim Sterben

Der Regisseur und Produzent Francis Ford Coppola hat schon in den 80er Jahren vorhergesagt, dass wegen der immer besseren und billigeren Videokameras die besten Filme des neuen Jahrtausends von kleinen pickeligen Mädchen mit Talent in ihren Highschools gedreht werden könnten. Von der Kehrseite her ist seine Vorhersage schneller wahr geworden: Jedermann und jede Frau kann heute ohne technisches Wissen und großen finanziellen Aufwand eine Videokamera kaufen und damit einen 80 Minuten langen Film drehen, der zumindest ansehbar ist, weil alle rein handwerklichen Fehlerquellen wie Licht, Ton, Verwackeln oder Unschärfe inzwischen elektronisch ausgemerzt sind. Man kann solch eine Kamera fast schon auf Autopilot stellen, und genau dies hat Gerburg Rohde-Dahl bei ihrem Portrait ihrer krebskranken Freundin Ursula Irmi Rosenbaum getan.

Sie schildert ihre Methode in den ersten Minuten des Films in einem Off-Kommentar: Sie habe Frau Rosenbaum während einer Therapieausbildung in der Reich'schen Orgodynamik kennen gelernt. Sie habe ihr gesagt, sie würde gerne ein filmisches Tagebuch ihrer jetzigen Krankheitsphase machen, und daraufhin habe Frau Rohde-Dahl sich eine kleine Kamera gekauft und damit zu filmen angefangen.

Man kann „Ich sterbe und ich lebe“ fast avantgardistisch und radikal nennen, so extrem fällt das Fehlen jeglichen Formwillens auf. Gezeigt werden fast nur sprechende Köpfe (der Kranken, ihrer Freundinnen, des Lebensgefährten und ihrer Tochter), ein paar häusliche Szenen und immer wieder ein Feldweg, der scheinbar beliebig bis zu einer halben Minute lang zu sehen ist.

Gerburg Rohde-Dahl hat wenig weggelassen. Dramaturgisch gibt es keinen Grund dafür, dass wiederholt gezeigt wird, wie herzlich die Kranke mit ihrem Lebenspartner und ihren Freundinnen umgeht. Auf das unbeteiligte Publikum nimmt die Filmemacherin kaum Rücksicht, sie will ja gerade möglichst eins zu eins zeigen, wie es war. Eine künstlerische Verdichtung wird erst gar nicht versucht, und so ist dieses Video eher ein Dokument als eine Dokumentation.

Und damit sieht sich der Filmkritiker vor einem Dilemma, denn wie soll man solch einen Film bewerten? Künstlerisch tendiert er gegen null, und ein Schicksal kann man nicht rezensieren. Besonders nicht, wenn es so extrem ist wie das der Protagonistin. Dieser kann (oder besser muss) man im Lauf des Films beim Sterben zusehen.

Schon zum Beginn der etwa anderthalb Jahre, in denen die Kamera sie begleitete, hatte sie durch die Bestrahlungen ihre Haare verloren, und im Laufe des Films und ihrer Krankheit verfällt ihr Körper immer mehr, und auch ihre Monologe über ihren Zustand, die ja den meisten Platz in diesem Film einnehmen, werden zugleich immer jenseitiger und essentieller. Gespenstisch ist schließlich ihr letzter Auftritt in ihrer Therapie-Gruppe, der als eine große Abschiedsrede, fast wie die Predigt einer Heiligen vor ihren Jüngern, inszeniert wurde. Es steht einem Rezensenten nicht zu, die Art, wie ein Mensch mit seiner Krankheit umgeht, zu bewerten, aber in einem Film auf einer Leinwand wirken diese Szenen längst nicht so intensiv und überwältigend, wie die KursteilnehmerInnen und Bekannten der Kranken sie sicher empfunden haben.

„Ich sterbe und ich lebe“ ist also eher ein Film für ein ganz spezielles Publikum, aber Gerburg Rohde-Dahl versteht ihn wohl auch eher als Therapieschritt denn als Filmwerk. Und wohlmeinend kann man ihre stilistische Zurückhaltung ja auch als Demut vor der Freundin und ihrer Krankheit verstehen, immerhin ist sie eine professionelle Regisseurin, die sich mit Kinderfilmen fürs Fernsehen einen Namen gemacht hat. Doch hier gelingt es ihr nicht, diese krebskranke Frau Außenstehenden wirklich nahe zu bringen: Sie hat halt ein Homevideo über das Sterben gemacht. Wilfried Hippen

„Ich sterbe und ich liebe“ läuft heute Abend um 20.30 Uhr und morgen um 18.30 Uhr im Kino 46. Die Filmemacherin ist bei den Vorführungen anwesend.