Filmstarts à la carte
: Freiheit statt Nationalsozialismus

■ Im Deutschen Reich des Jahres 1944 stand es bekanntlich nicht zum Besten: Der Krieg war praktisch verloren, die alliierten Bomber legten die deutschen Städte in Schutt und Asche, und die Nazis mobilisierten die Reste ihrer bis zum Höchstmass militarisierten Volksgemeinschaft zum sinnlosen „totalen“ Endkampf. Inmitten des Chaos schuf Helmut Käutner mit „Unter den Brücken“ einen Film, der einen kompletten Gegenentwurf zur Realität des Dritten Reichs darstellte: mit friedlicher Idylle statt Krieg, dem Rückzug in die Freiheit des Privaten anstelle der permanenten Einordnung in die „Gemeinschaft“ und der Poesie der kleinen banalen Dinge im Gegensatz zur großkotzigen und pathetischen offiziellen Kunst. Käutner erzählt eine einfache Geschichte: Zwei Binnenschiffer schippern mit ihrem Kahn die Havel hinauf, begegnen einem Mädchen und verlieben sich. Sie treffen eine Abmachung: Egal für wen sich Anna entscheidet, dem „Verlierer“ soll der Kahn - als Ausgleich und zum Trost - allein gehören. Natürlich ist die Freundschaft der Männer dann doch so fest und unverbrüchlich, dass es ein Happy-End für alle Beteiligten gibt. „Unter den Brücken“, der 1945 zwar noch von der Zensur zugelassen wurde, aber nicht mehr vor Kriegsende in die Kinos kam, ist zweifellos ein Sonderfall in der deutschen Filmgeschichte. Von der melancholischen Stimmung her dem sogenannten poetischen Realismus des französischen Vorkriegskinos à la „Hafen im Nebel“ verwandt, gab es für dieses außerordentliche Stück Kino weder deutsche Vorbilder noch Nachfolger. Auch Käutner selbst konnte die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllen: Als große Hoffnung des deutschen Nachkriegskino gepriesen, wurde er zwischen der gut geölten Unterhaltungsmaschinerie der 50er Jahre und seinem eigenen Anspruch aufgerieben.

„Unter den Brücken“ 24.9. in der Brotfabrik

■ Sein Ziel war die absolute Filmsprache, frei von Hilfsmitteln und Zwängen des Theaters wie Schauspielern, Dekorationen, Kostümen und detaillierten Drehbüchern. Meist erwies sich die von Denis Kaufman alias Dziga Wertow gesuchte Realität allerdings als eine durch und durch sowjetische Wahrheit: Emphatisch priesen Wertows brillant montierte und vor keinem technischen Trick zurückschreckende Filme die Errungenschaften der sozialistischen Revolution. „Der Mann mit der Kamera“, das wohl bekannteste Werk des Dokumentar- und Experimentalfilmpioniers, thematisiert das Filmemachen selbst. Nicht nur wird der Weg des Filmmaterials von der Aufnahme über den Schnitt bis zum Kinosaal nachvollzogen und in die Montage eingeflochten, Wertow macht die Kamera auch als technisches Auge erfahrbar und verdeutlicht ihren Einfluss auf die Abbildung von Realität. Immer wieder sieht man den Kameramann und seinen Aufnahmeapparat im Bild: von der Fokussierung eines unscharfen Bilds bis zum Versuch, spektakuläre Einstellungen von einem heranrasenden Zug zu erlangen.

„Der Mann mit der Kamera“ 22.9. im Arsenal 2

■ Der Intellektuelle als solcher hat es nicht leicht. Vor allem dann nicht, wenn er von Michelangelo Antonioni porträtiert wird: Unfroh denkt er vor sich hin, vermag seine Gefühle nicht in Worte zu fassen und scheitert am Leben und an der Liebe. In nur einer Nacht müssen der Schriftsteller Giovanni (Marcello Mastroianni) und seine Frau Lidia (Jeanne Moreau) in „La Notte“ erkennen, dass ihre Liebe nurmehr aus Gewohnheiten besteht und die halbherzigen Ausbruchsversuche in Form erotischer Verlockungen zur Bewältigung der Krise auch nicht taugen. Ein perfekt inszenierter Film der Oberflächen und Oberflächlichkeiten, des absoluten Leerlaufs.

„La Notte - Die Nacht“ 25.9.- 27.9. im Lichtblick-Kino

Lars Penning