Kosaken aus der Kolchose

Vom Dandy zum Melancholiker. Oder wie eine Literaturverfilmung den doppelten Kulturtransfer schafft: Alexander Puschkins „Eugen Onegin“ ist in die Hände der Geschwister Fiennes gefallen

von BARBARA SCHWEIZERHOF

Wer französische Pizza, amerikanische Gotik oder deutsche Klezmermusik mag, muss diesen britischen „Onegin“ einfach lieben. Schließlich sind die Vorstellungen, die man sich von einer Sache macht, oft interessanter als die Sache selbst. Nicht dass sie besser wären als die Originale oder diesen auch nur gleichkämen, nein, es ist dieser Prozess der einfühlenden Nachbildung, der umso aufschlussreicher ist, desto mehr Missverständnisse sich daraus ergeben.

Dass die Geschwister Fiennes (Ralph, Initiator des Projekts, spielt die Hauptrolle, Martha führte Regie, und Magnus machte die Musik) den Mut besaßen, sich an Alexander Puschkins Roman in Versen „Eugen Onegin“ zu versuchen, hat ihnen speziell in Russland viel Respekt eingebracht. Auch einiges an Häme, aber das konnte nicht ausbleiben, denn „Onegin“ ist für Russen, was „Faust“ für die Deutschen ist, mit dem einzigen Unterschied, dass die meisten heute noch aus dem Epos auswendig zitieren können. Weshalb sich auch bislang dort niemand getraut hat, die wirklich beliebten Verse in schnöde Filmprosa umzusetzen – beiden russischen Verfilmungen lag das Opernlibretto von Peter Tschaikowski zugrunde, die erste Version aus dem Jahre 1911 war sowieso ein Stummfilm.

Nun handelt Puschkins Werk schon von einem Kulturtransfer, denn sein Held Onegin ist das Abbild des russischen Byronismus: Spöttisch verachtet er die Welt, während er sich gleichzeitig ganz dem Amüsement hingibt, das ihn in seinem glaubenslosen Weltschmerz allerdings nur langweilen kann. Zu großer Qual ist die Frau verdammt, die sich in ihn verliebt, da der Dandy allenfalls mit Gefühlen zu spielen bereit ist. Doch wehe, es trifft ihn auf seine alten Tage (so um die dreißig) noch der Pfeil des Amor – da bleibt dann kein Auge mehr trocken.

Vom Briten Fiennes erwartet man eigentlich das richtige Gespür für diesen Heldentypus der englischen Romantik. Aber leider verlegt sich Fiennes lieber darauf, typische russische Schwermut verkörpern zu wollen, und das so triefäugig, dass man ihn zwischendurch fast für eine Inkarnation von James Ivory halten könnte. Ähnlich daneben liegt Liv Tyler mit ihrer Interpretation der Tatjana als russische Naturschönheit. Auch das ein Missverständnis der Gegenprojektion, hat doch Puschkins Lieblingsheldin ihr Herz an französischen Romanen geschult und ist alles andere als ein mit bunten Kopftüchern behangenes Folkloremädchen. Soll man angesichts solcher interpretatorischer Missverständnisse, die auch verschenkte Chancen sind, wirklich noch beklagen, dass das Volkslied, das gesungen wird, aus dem spätstalinistischen Kolchosen-Musical „Kuban-Kosaken“ stammt? Oder dass die renovierungsbedürftigen Palastkulissen, in denen „Onegin“ spielt, eher an die maroden Zustände des real existierenden Sozialismus erinnern als an das frühe 19. Jahrhundert? Ganz zu schweigen von der Verwechslung im Genre, die an die Stelle der ironischen Leichtigkeit der Romantik die melodramatische Schwere des Sentimentalismus setzt. „Wir haben alle so ein bisschen irgendwie und irgendwas gelernt“, heißt es bei Puschkin in einer berühmten Strophe, „da ist es leicht, mit Bildung zu glänzen.“ Ganz so leicht wohl doch nicht.

„Onegin“. Regie: Martha Fiennes. Mit Ralph Fiennes, Liv Tyler u. a. Großbritannien 1999, 106 Min.