„Ich bin eher konservativ“

In dem Film „Dancer in the Dark“ gibt Björk ihr Schauspieldebüt. Ein Gespräch über ihre Hauptrolle als Selma, über Fantasie und Kreativität und über ihren sehr isländischen Drang zur eigenen Insel

INTERVIEW: MARCEL ANDERS

taz: Im Film „Dancer in the Dark“ spielen Sie die Rolle der Tschechin Selma. Sie sind selbst Mutter eines 13-jährigen Jungen. Hat Ihnen das geholfen, sich mit der Titelfigur zu identifizieren?

Björk: Ganz bestimmt. Im Drehbuch waren überhaupt viele Dinge, die mich an mich selbst erinnerten. Das Einzige, womit ich echte Schwierigkeiten hatte, war dieser übertriebene Schmerz. Bislang hatte ich ein sehr, sehr glückliches Leben. Im Grunde sind all meine Träume wahr geworden. Ganz anders bei Selma, bei der alles schief läuft. Von daher haben wir eigentlich nicht so viel gemeinsam. Trotzdem hat sie mich fasziniert – mehr noch: Ich war regelrecht besessen. Ich habe sie gelebt, war 24 Stunden am Tag Selma. Fast so, als hätte jemand von mir Besitz ergriffen.

Wie war es, eine Blinde zu spielen?

Es fiel mir nicht schwer, mich in sie hineinzudenken – weil mir meine Ohren viel wichtiger sind als meine Augen. Ich kann tagelang durch die Gegend laufen, ohne zu registrieren, was ich da sehe. Ich kann mir ohnehin keine Gesichter merken – aber ich erinnere mich gut an die Stimme von Leuten. Es reicht schon, wenn ich mit ihnen telefoniere. Das ist für Musiker eigentlich ganz normal.

Angeblich haben Sie sich öfter mit von Trier gestritten. Worum ging es dabei?

Wir hatten völlig unterschiedliche Meinungen darüber, wer Selma eigentlich ist. Ich wollte sie zu einem sehr poetischen, leichten Charakter machen – eben genau so, wie es die Flashback-Sequenzen im Musical-Format nahe legen. Sie wäre in ihrer Darbietung einfach euphorischer und freier gewesen.

Aber Lars ist ein regelrechter Schmerzfanatiker. Er will seine Charaktere leiden sehen – vor allem die weiblichen. Und damit konnte ich mich nicht anfreunden. Also haben wir uns letztlich irgendwo in der Mitte getroffen.

Das Format des Musicals legt ja eher eine fantastische, märchenhafte Geschichte nahe . . .

Ich wollte schon immer ein Musical über reale, richtige Leute schreiben, die nichts besitzen, außer dem, was sie am Leib tragen. Selbst die können eine Menge Magie ausstrahlen – auch wenn sie nicht wirklich toll aussehen. Dazu braucht man kein großes Budget. Man muss nur mit einem Teelöffel an ein Wasserglas tippen und schon kann ein Song beginnen, zu dem alle tanzen. Das hatte ich schon als Kind vor – eben Realität und Fiktion miteinander zu verbinden.

Wie steht es um die öffentliche Figur Björk? Ist die auch ein Fantasiecharakter?

Das würde ich so nicht sagen. Ich sehe mich als sehr real. Mein Vater ist ein Gewerkschaftsführer, und ich entstamme einem typischen Arbeiterklasse-Hintergrund. Ich habe mein ganzes Leben hart gearbeitet, bin mit 14 zu Hause ausgezogen und habe mir einen Job gesucht. Von daher weiß ich, mit welchen Problemen du dich im täglichen Leben rumschlagen musst.

Gleichzeitig muss man aber auch die Fantasie umarmen. Wenn du zum Beispiel einschläfst und etwas Tolles träumst, hast du genug Energie für den nächsten Tag. Der ist dann wieder Realität – bis du ins Bett gehst und weiter träumst. Von daher geben beide Welten einander wichtige Impulse – du musst sie nur entsprechend einsetzen.

Ihr Album „Selma Songs“, die Musik zum Film, hat wenig mit Ihren letzten Arbeiten gemein. Kommt da Ihre klassische Ausbildung zum Vorschein?

Ich schätze mich glücklich, solche Songs ohne jede Recherche schreiben zu können: Es hat mir vor Augen geführt, was ich als Kind gelernt habe. Ich war fast zehn Jahre in der Musikschule. Damals habe ich regelrecht dagegen rebelliert, Beethoven, Bach und Mozart spielen zu müssen. Aber später musste ich zugeben, dass es doch nicht völlig überflüssig war. Jede Minute, die ich dort verbracht habe, hatte ihre Bedeutung. Genau dafür sind Schulen da: Sie zwingen dich, dich mit Dingen zu beschäftigen, mit denen du dich sonst nie auseinander setzen würdest, und mit Leuten zu kommunizieren, mit denen du sonst nichts zu tun haben würdest.

So erging es mir auch mit Selma: Sie war eine tschechische Immigrantin aus den 30er-Jahren, die eine ausgeprägte Passion für Musik hatte. Und das lebte sie aus, indem sie alles um sich herum in Instrumente verwandelte – jeder Gegenstand, der sich ihr in den Weg stellte: von Stühlen bis zu Fabrikgeräuschen. Sie schuf sich eben ihre eigene Klangwelt.

Greifen Sie in Songs wie „Cvalda“ auch Einflüsse der Einstürzenden Neubauten auf?

Ja, sie waren schließlich ein wichtiger Einfluss meiner Teenager-Tage. Ich hatte mal einen Auftritt bei einem Neubauten-Konzert, als ich schwanger war. Durch die Lautstärke hat sich der Fötus so stark bewegt, dass ich regelrecht aus der Halle rennen musste. Die Hochtöne waren einfach zu intensiv. Aber ich mag die Neubauten noch immer.

Sind Sie ein Typ, der sich schnell langweilt? Oder warum experimentieren Sie so gerne und viel?

Es gibt schon einen Teil von mir, der sehr abenteuerlustig ist und schreckliche Angst vor der Langeweile hat. Aber der wahre Grund, warum ich experimentiere, besteht darin, dass ich eigentlich sehr konservativ bin.

Gerade im Privaten umgebe ich mich mit Freunden, die ich schon seit frühester Kindheit kenne. Es könnte alles kaum sicherer sein – und deshalb breche ich auch immer wieder aus und suche nach Abenteuern. Das ist dann, was die Welt von mir mitbekommt – dabei macht es doch höchstens 10 oder 20 Prozent meiner Persönlichkeit aus.

Was bedeutet Ihnen Island?

Das ist meine Identität – ich habe die Gene von 1.100 Jahren in mir! Viele Leute, die auf einer Insel aufgewachsen sind, entwickeln eine Art Hassliebe zu ihrer Heimat. Dasselbe habe ich auch bei Leuten aus Japan, Neuseeland, Korsika oder Jamaika festgestellt: Es ist dieses unentschlossene „Soll ich bleiben oder gehen“-Ding. Sie fühlen sich einerseits isoliert und gefangen. Aber wenn sie wirklich woanders hinziehen, kommen sie einfach nicht klar: Sie kehren immer wieder nach Hause zurück.

Die Isländer sind da nicht anders. Ich habe Statistiken gesehen, die besagen, dass 90 Prozent von ihnen zurückkehren. Viele von ihnen nur, um zu sterben.

Ist das der Grund, warum Sie die historische Insel Malmey kaufen wollten – um einen festen Zufluchtsort zu haben?

Davon habe ich schon seit jüngster Kindheit geträumt. Eben von einem Ort, an dem ich mich niederlassen und zur Ruhe kommen kann. Gerade, wenn du so lange und hart an etwas gearbeitet hast, wie ich an diesem Film – das waren fast 9.000 Stunden –, sehnst du dich nach einem Ort, wo du all die Songs niederschreiben kannst, die dir schon die ganze Zeit im Kopf rumspuken. Für mich wäre das ein Traum.

Warum hat es denn nicht geklappt – ist es in Island so schwer, öffentliches Land zu kaufen?

Zunächst wollte mir die Regierung sie tatsächlich verkaufen. Aber dann trat eine Firma auf den Plan, die eine Fabrik auf der Insel bauen wollte und dem Innenministerium vorwarf, sie würden mich nach Strich und Faden bevorzugen. Dass ich dafür bezahlen wollte, haben sie dezent unter den Tisch fallen lassen. Solche Vorwürfe wollte ich mir nicht machen lassen – deshalb habe ich darauf verzichtet. Jetzt warte ich, bis ich 60 bin. Dann sitze ich mit Bart, Pfeife und Wein am Strand und genieße das Leben.

Stört es Sie eigentlich, in der Presse immer als dieses exotische nordische Wesen dargestellt zu werden?

Oh, im Grunde haben mich die Leute schon immer für verrückt gehalten. Ich erinnere mich noch gut an eine Diskussion, als ich fünf Jahre alt war und mit den anderen Kindern auf der Straße gespielt habe. Es ging um irgendetwas, von dem es hieß, dass Kinder so etwas nicht machen dürfen. Damals habe ich schon gesagt: „Tut, was ihr wollt, und nicht, was andere denken.“

An dieser Einstellung hat sich bis heute nichts geändert. Außerdem ist es doch immer dasselbe: Du tust etwas, und zunächst kapiert es keiner. Nach fünf Jahren kommen sie dann langsam dahinter und finden es toll, und nach zehn Jahren halten sie es wieder für schrecklich. Deshalb tendiere ich auch dazu, nie zu lange über etwas nachzudenken – entweder es ist gut oder schlecht.

Was Island betrifft, so habe ich dazu ein sehr gesundes Verhältnis. Ich meine: Klar haben wir Geysire – aber das heißt doch nicht, dass das mein ganzes Denken beeinflusst. Ich reite nicht auf Polarbären oder hüpfe über Vulkane. Das ist ein billiges Klischee.

Andererseits: Man kann sich auch prima dahinter verstecken. Vor allem in Interviews gibt mir das die Möglichkeit, nicht so viel über mich reden zu müssen – was ich prima finde.

Obwohl „Selma Songs“ jetzt erscheint, arbeiten Sie bereits am nächsten Projekt – einem Album namens „Domestica“. . .

Das hat auch damit zu tun, dass ich mir meine eigene Insel baue – und zwar eine mentale. Quasi ein sehr flexibles und transportfähiges Reich, auf einem winzigen Laptop – wie romantisch (lacht). Auf diese Weise kannst du alles im Alleingang schreiben und brauchst keinerlei fremde Hilfe. Ist das nicht großartig? Ich empfinde das als Herausforderung, nach dem Motto: Bist du auch alleine so gut wie in einem großen Studio?

Bei dieser Arbeitsweise bleibt aber kaum Platz für die Zusammenarbeit mit anderen Musikern, die Sie so schätzen?

Wenn du mit dir selbst im Reinen bist, dann hast du zumeist auch eine gute Beziehung zu anderen. Du kommuniziert immer dann am besten, wenn du eigentlich niemanden brauchst. Wenn du einsam und verzweifelt bist, rennen die Leute regelrecht weg vor dir (lacht).

Was verbindet Sie mit so exzentrischen Typen wie Tricky, Goldie oder Howie B?

Keine Ahnung. Letztlich ist das doch immer etwas anderes – unterschiedliche Gefühle, unterschiedliche Orte. Es gibt keine Gesetze. Darin besteht doch die Natur des Sich-Verliebens: Sich zu verlieben heißt ja nicht, bekanntes Terrain neu zu entdecken, sondern sich in ein Abenteuer zu stürzen.

Ist das auch Ihre Philosophie, wenn es um Mode geht? Da haben Sie ja einen sehr flippigen Geschmack . . .

Oh, danke! Was mich interessiert, ist Kreativität. Wenn sich jemand auf eine ausgefallene Art und Weise ausdrückt, finde ich das klasse. Was ich nicht mag, ist, wenn Mode zum Statussymbol oder Label reduziert wird und sich einem System oder einer Politik beugt.

Es ist mir völlig egal, auf welche Art die Leute kreativ sind – ob sie einen Kuchen backen, Kinder zeugen, Socken häkeln, Songs schreiben oder Interviews geben – das ist alles prima. Es gibt nichts Besseres, als produktiv zu sein und originelle Ideen zu entwickeln – das motiviert mich, morgens aufzustehen und den Tag in vollen Zügen zu genießen.

Um zum Film zurückzukommen: Selmas Klamotten allerdings sind ja weder originell noch sonderlich schick . . .

Stimmt – aber Selma legt es ja auch gar nicht darauf an, sich selbst oder anderen einen Kick zu geben. Sie ist mehr auf einer Mission und hat dabei völlig vergessen, dass sie eine Frau ist. So ist sie auch gekleidet – sie soll hässlich sein. Was das betrifft, hat Lars ganze Arbeit geleistet.