„Ich muss mehr organisieren“

Nikolaus Huhn, 41, hat vier Kinder, lebt in einem thüringischen Dorf und hat kein Auto. Er ist Mitglied im Verein „Autofrei Leben“. Er spricht über seinen Alltag ohne Pkw

taz: Herr Huhn, wieso haben Sie kein Auto?

Nikolaus Huhn: Ich denke einfach, dass es nicht aufgeht, wenn alle Leute ein Auto haben wollen. Und da kann ich schlecht sagen, die Chinesen sollen mal damit anfangen, keine Auto zu haben, da geht es für mich erst mal hier los. Ich denke, dass diese Art von Mobilität keine Zukunft hat – und da gehe ich eben schon mal einen Schritt voraus.

Sie leben auf dem Land, zwölf Kilometer von Jena entfernt. Wie weit haben Sie es zur nächsten Bushaltestelle?

80 Meter.

Und wie oft fährt da der Bus?

Fünf mal am Tag: Um sechs, um zehn vor sieben, um viertel nach acht, um elf Uhr fünfzehn und um vierzehn Uhr. Er braucht fünfundzwanzig Minuten bis in die Stadt.

Und wie kommen Sie abends ins Kino?

Da fahren meine Frau und ich mit dem Rad. Ab und zu nehmen wir auch mal ein Taxi.

Wie bringen Sie ihre vier Kinder in den Kindergarten, in die Schule, zum Turnen, und was es sonst noch so gibt?

Wir haben zum Glück in unserem Dorf eine Schule und einen Kindergarten. Einmal die Woche kommt eine Musiklehrerin und gibt Flötenunterricht. Ansonsten sind die Kinder noch sehr klein – die Zwillinge sind acht, die anderen sechs Jahre beziehungsweise sieben Monate alt. Ich versuche mich aber heute schon für die Pubertät unserer drei Töchter zu wappnen. Jede bekommt zwei Taxigutscheine im Monat. Insgesamt können sie dann sechs Mal im Monat ins Kino fahren.

Wie fahren Sie in den Urlaub?

Wir sind mit allen Kindern schon mit dem Rad auf Cämpingplätze gefahren. Natürlich keine hundert Kilometer am Tag, das wäre zu viel. Die Kinder haben wir im Fahrradanhänger und auf dem Fahrradsitz, Gepäck in den Taschen hintendran. Wenn man zu weite Strecken fährt, hat so ein Unternehmen aber schnell etwas Heldenhaftes.

Ist das nicht gefährlich, mit einem Kinderanhänger über die Landstraßen zu fahren?

Im Gegenteil: Wenn man einen Anhänger dran hat, ist es sogar weniger gefährlich als ohne. Kritische Situation auf der Straßen entstehen doch dann, wenn man mit dem Fahrrad fährt, es kommt ein Auto entgegen und der Fahrer hinter einem denkt, na ja, da pass ich an dem Fahrrad ja noch vorbei. Mit einem Anhänger sind Sie so breit, dass sich das keiner traut. Ich habe immer noch ein Fähnchen hinten am Anhänger, das wirkt dann noch breiter.

Und wenn Sie mal weiter weg wollen?

Wir fahren oft mit der Bahn und nehmen dann das Rad mit. Wir haben mal ein Jahr in Schottland gelebt und sind da auch mit dem Rad rumgefahren. Es geht alles – man muss bloß ein bisschen mehr organisieren. Solche Fahrten sind zwar etwas teurer, als wenn man die ganze Familie ins Auto packt. Andererseits sparen Sie aber auch eine ganze Menge Kosten: Ein durchschnittlicher Autobesitzer gibt in seinem Leben mehr als eine halbe Million Mark fürs Autofahren aus. Damit kann man eine ganze Menge machen.

Was machen Sie, wenn es regnet oder schneit?

Ich habe ein Faltrad dabei. Das kann man im Zug gut mitnehmen. Ich fahre dann vom Bahnhof die letzten Kilometer mit dem Rad. Wenn es regnet, nehme ich ein Taxi und schmeiße das Rad hinten rein. Ich habe auch ein Winterfahrrad mit Spikes auf den Reifen. Und die Kinder, die werden richtig eingepackt und haben ein Regencape an.

Wie viel geben Sie im Monat für die Bahn aus?

Zur Zeit nicht so viel, vielleicht 80 bis 100 Mark. Wir haben eine Familien-Bahncard, und dann gibt es ja den Familiensparpreis für 299 Mark. Da komme ich mit der ganzen Familie bis zu meinen Eltern nach Süddeutschland und wieder zurück. Da kann man echt nicht meckern. Für einen mittleren Pkw müsste ich im Monat auch 500 bis 600 Mark ausgeben, wenn ich den Werteverlust mit einrechne.

Bedauern Sie manchmal, dass Sie kein Auto haben?

Klar, wenn es so richtig fies regnet – dann denke ich schon manchmal, das ist jetzt aber nicht mehr so richtig originell. Aber es gibt ja auch beim Autofahren fiese Situationen – wenn Sie unterwegs liegen bleiben, in die Werkstatt und viel Geld bezahlen müssen. Bereut, dass ich kein Auto besitze – das habe ich aber noch nie. Dabei fahre ich gerne Auto!

INTERVIEW: KATHARINA KOUFEN