Der rollende Reibach

Der Ball ist rund, und ein Spiel dauert neunzig Minuten? Derlei Weisheiten sind passé: Der Ball ist nunmehr viereckig, und ein Spiel dauert mehrere Stunden. Der Fußball wird zusehends durch das lukrative Fernsehen geprägt. Europäische Spitzenklubs haben sich zu Konzernen entwickelt. Neuester Trend: das eigene Vereinsfernsehen

von OLIVER LÜCK

Zwanzig vor neun wird Miguel nervös. Er hat es sich mit Freunden vor dem alten Sony gemütlich gemacht. Über dem Fernseher an der Wand hängen Fotos entschlossen dreinblickender Männer in kurzen Hosen. Wimpel, Autogrammkarten, ein blaurot gestreiftes Trikot. Schon gleich werden die Lieblinge auf türkischem Grün zu bewundern sein: Die Kicker des FC Barcelona laufen bei Besiktas Istanbul zum zweiten Gruppenspiel in der Vorrunde der Champions League auf.

Miguel und seine Kumpels auf der Iberischen Halbinsel werden live dabei sein, keinen Hackentrick verpassen, alles in Zeitlupe verfolgen. Das Stimmengewirr wächst zu einem einträchtigen „Barça, Barça!“. Seit zwei Stunden bereits füllen zahlreiche Hintergrundberichte den Bildschirm. Alles in allem wird dieser Vorrundenpartie ein fünfstündiges Sendemarathon gewidmet. Die Leichtigkeit des Seins als Fußballfan hat einen neuen Namen: Canal Barça, den vereinseigenen Fernsehsender des FC Barcelona. Er überträgt exklusiv.

Und noch mehr: Wenn Miguel am späten Nachmittag von der Arbeit nach Hause kommt, überzeugt er sich gerne am TV-Schirm davon, dass die hochbezahlten Ballkünstler tagsüber beim Training auch ordentlich gearbeitet haben. Und wenn schon keine Livespiele in der Primera Division oder der Champions League anstehen, hilft so mancher Triumph vergangener Tage, dargereicht aus der Konserve, sich fit für den nächsten live gesendeten Ernstfall zu halten.

Das im Rahmen des nationalen Fernsehgiganten Via Digital verbreitete Programm lässt keine Wünsche offen. Täglich von ein Uhr mittags an berichtet der Klubsender – nach Wahl in spanischer oder katalanischer Sprache – in jedweder Fasson über den verehrten FC. Zwölf Stunden am Stück, sieben Tage die Woche – die Arznei gegen die Entzugserscheinung eines jeden Fußballjunkies.

Doch die TV-Fußballdroge kostet. Gegen eine monatliche Gebühr von 2.500 Peseten – umgerechnet dreißig Mark – empfangen Abonnenten zunächst das Basispaket von Via Digital mit einem breiten Paket von über vierzig Kanälen. Für Canal Barça legt man weitere neun Mark drauf. Will Miguel auch die Liveübertragungen in sein Wohnzimmer durchgestellt bekommen, muss er abermals bis zu 22 Mark berappen. Das nennt sich Pay-per-View und ist vergleichbar mit dem Angebot der deutschen Premiere World, wo gegen Bezahlung „das Paradies auf Erden“, sprich: livehaftiger Bundesligafußball, „zum Greifen nahe ist“, wie in einer der bunten Werbepostillen vollmundig versprochen wird.

So manch deutscher Spitzenverein wäre glücklich über die Existenz eines TV-Senders, der nur gute Nachrichten über den eigenen Verein vermeldet oder zumindest die großen Probleme kleinredet. Denn von Barcelona bis Manchester lassen die Magnaten der großen Klubs das Programm nach ihrem Gusto gestalten. Dabei pinkelt man sich nicht gerne selbst ans Bein.

Auf Canal Barça etwa ist keine noch so uninteressante Neuigkeit zu trivial, um nicht wenigstens den Betriebsfrieden zu dokumentieren. Zuerst eine fünfzehnminütige Reportage über den linken Fuß des brasilianischen Superstars Rivaldo. Dann die Nachricht, dass die niederländischen Legionäre Phillip Cocu und Patrick Kluivert an diesem Nachmittag verletzungsbedingt nur laufen konnten. Von vorgefallenen Steueraffären oder den Schwindel erregenden Salären der kickenden Angestellten wird nicht gesprochen. Den Rest des Sendetags füllen Beiträge über die Nachwuchs- und Veteranenteams, die Basketballsektion und die so wichtige Selbstdarstellung der Funktionäre und Sponsoren das Telebild aus.

Der Trend zum Vereinsfernsehen ist nicht neu. Manchester United war der erste Fußballverein, der mit Manchester United-TV (MUTV) über ein eigenes Programm verfügte. Vor einigen Jahren bereits übertrug der Klub zunächst seine Heimspiele gratis in die städtischen Altersheime und Krankenhäuser. 1998 wurde diese karitative Leistung folgerichtig kommerzialisiert und in einen landesweiten Pay-TV-Kanal integriert. Auch Olympique Marseille und Real Madrid übernahmen schon bald den televisionären Gedanken und folgten mit ihren Sendern OMTV und Real Madrid-Televisión (RMT). Erst kürzlich rief der AC Mailand mit Channel Milan ein Rund-um-die-Uhr-Programm in eigener Sache ins Leben. Und bei den Glasgow Rangers liegen Pläne für Rangers Television in der Schublade.

In Deutschland gibt es hingegen nur vergleichsweise bescheidene Projekte. Borussia Dortmund und der FC Schalke 04 etwa unterhalten mit Borussia-TV und Auf Schalke seit über einem Jahr eigene Shows im Deutschen Sport-Fernsehen (DSF). Der SV Werder Bremen produziert sein Magazin Werder TV mit Sendungen wie „Die Gourmets in Grün-Weiß: Der Werder Kochklub“ regelmäßig im Offenen Kanal der Stadt.

Bis zum eigenen Klubsender ist es jedoch noch ein weiter Weg, glaubt Michael Meier. „Das ist Zukunftsmusik“, beruhigt der Manager der Dortmunder Borussen. Borussia-TV sei lediglich eine Art Vorstufe. Gleichermaßen wie das Fan-TV, das anlässlich der Heimspiele des BVB im Westfalenstadion läuft. 350 Flimmerkisten bedienen dort die Besucher vor und nach der Partie wie auch während der Halbzeitpause mit Aktualitäten. Die Organisation eines vom Verein selbst verwalteten Pay-TV-Kanals sei hingegen, so Meier, mit erheblichen Kosten verbunden. Wobei die Zahl potenzieller Abonnenten noch deutlich im roten Bereich liege.

Nach einer Umfrage des Medienunternehmens UFA würden zwar über drei Millionen Interessierte die aktuellen Vereinsmagazine regelmäßig verfolgen wollen. Allerdings nur, wenn sie kostenfrei zu empfangen sind. Kaiserslauterer Teufel-TV oder den Kanal Energie in Cottbus wird es im Pay-TV-Format daher auch in naher Zukunft nicht geben. Einzig der FC Bayern München – nicht grundlos immer häufiger als FC Hollywood tituliert – wäre angesichts seiner über 80.000 Mitglieder und 1.800 Fanklubs in aller Welt der einzige deutsche Verein, dessen eigener Sender sich wirklich lohnen könnte.

Kürzlich erst wurde das eindrucksvoll bestätigt, als die am Sonntagabend zur besten Sendezeit und mit viel Tamtam im ZDF ausgestrahlte Unterhaltungsgala „Hundert Jahre FC Bayern“ acht Millionen Haushalte einschalten ließ. „So eine Show hat es noch mit keinem Fußballverein gegeben“, prahlte Manager Uli Hoeneß.

Vereinsvize Karl-Heinz Rummenigge glaubt generell an einen deutschen TV-Fußballmarkt: „Der ist so potent wie kein anderer in Europa.“ Der 44-Jährige weiß, dass die Einrichtung eines digitalen Kanals „technisch überhaupt kein Problem“ und dieser schon für 29.000 Mark Miete zu haben sei.

Die ersten Gehversuche werden bereits im Internet unternommen: Seit dem Frühjahr bietet der deutsche Rekordmeister allen Fans die Möglichkeit, das komplette Programm seines Sony Fan TV ohne zusätzliche Kosten online zu verfolgen, was bisweilen – wie auch in Dortmund, Bremen oder Hamburg – den Besuchern der Heimspiele vorbehalten war. Die Übertragung beginnt eine Stunde vor Anpfiff und wird durch Interviews und die anschließende Pressekonferenz abgerundet.

Die Partie selbst kann der surfende Lederhosenfan allerdings nur per Audiokommentar hören, der durch einige Standbilder vom Spiel ergänzt wird. Denn die Senderechte für die Liveberichterstattung sämtlicher Bundesligapartien besitzt ein anderes Unternehmen aus der bayerischen Landeshauptstadt, Premiere World. Ein Mausklick genügt, um von der Homepage des FC Bayern direkt in dessen großflächige Pay-TV-Versorgung zu geraten.

Ende April einigten sich der Ligaausschuss des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und die Münchener Kirch-Gruppe über einen Vierjahresvertrag zur Verwertung der Fernsehrechte. Waren es für die erste Bundesligaspielzeit 1965/1966 noch 640.000 Mark, die ARD und ZDF an den DFB zu überweisen hatten, so garantiert der bis ins Jahr 2004 laufende Kontrakt den 36 Profivereinen der Ersten und Zweiten Liga nun schon etwas mehr: 750 Millionen Mark per annum. „Ich bin überzeugt, dass wir bald mehr als eine Milliarde haben werden“, glaubt Uli Hoeneß mit Blick auf die Zusatzeinnahmen aus dem Pay-per-View-Geschäft.

Obwohl der 48-jährige Lautsprecher der Branche „keine Notwendigkeit für einen Anspruch auf kostenlosen Fußball“ sieht, muss auch für ihn ein gewisser Umfang im frei zugänglichen Fernsehen – kurz: Free TV – bestehen bleiben. Denn gerade der Bundesligafußball ist, so beschloss es der Bundesrat, von öffentlichem Interesse und gehöre daher zum Besitzstand der Zuschauer. Sie erkaufen sich mit ihrer Rundfunkgebühr einen Anspruch darauf. Der DFB-Ligaausschusspräsident, Gerhard Mayer-Vorfelder, macht sogar noch Hoffnung. Er lege Wert darauf, dass Zusammenfassungen der Spiele „abpfiffnah“ in Sat.1 gesendet würden.

In Ländern wie Italien, Frankreich oder Spanien wurde die Marke von einer Milliarde Mark für eine TV-Spielzeit schon überschritten. Inzwischen sind auch in Sachen Ablösesummen und Spielergehälter zweistellige Millionenbeträge üblich. Der unerwartet große Erfolg von Canal Barça zum Beispiel unterstützt die Macher in ihrem Programmdenken. Inzwischen werden auch in den fernsten Winkeln des Landes Konsumenten mobilisiert. Mit seiner riesigen und weit verstreuten Anhängerschaft von über hunderttausend Mitgliedern, unter ihnen der Papst, gehört Barça zu den Privilegierten, die sich von dem Kanal Profit versprechen können. „In unserer Kalkulation waren 25.000 Abonnenten im ersten halben Jahr vorgesehen“, verriet Via-Digital-Oberhaupt Pedro Perez freudig.

Nach einem Monat waren es bereits über vierzigtausend. Wie groß die Nachfrage in besonderen Fällen ist, zeigte sich, als das Ligaspiel zwischen den Erzfeinden FC Barcelona und Real Madrid erstmals im hauseigenen Bezahlfernsehen übertragen wurde. Obwohl hunderttausend Getreue im Nou-Camp-Stadion direkt dabei waren, ließen sich rund 250.000 Via-Digital-Bezieher den Klassiker für einen Aufpreis von 22 Mark durchstellen. Am Ende hatte der Verein durch ein Spiel rekordträchtige fünfeinhalb Millionen Mark eingenommen. Siebzig Prozent davon flossen in Barças Vereinskasse – wie von sämtlichen Umsätzen, die mit Canal Barça getätigt werden.

Für die Rechte am Sender blättert Via Digital zudem mindestens fünf Millionen Mark pro Spielzeit hin. Allein von dieser Summe ließen sich in der deutschen Kickerhautevolee Topstars der Marke Andreas Möller finanzieren. Darüber hinaus dürfen spanische Vereine ihre Senderechte in Eigenregie veräußern. Die Lizenz an sämtlichen Spielen des FC Barcelona besitzt bis ins Jahr 2003 der katalanische Regionalsender TV3. Ausgestrahlt wird allerdings über die Schwesterfirma Via Digital, die sich bereits für den Zeitraum von 2003 bis 2008 für rund achthundert Millionen Mark die Lizenz für die Spiele der Katalanen gesichert hat.

Freilich läuft auch im südlichen Europa bei weitem nicht alles so, wie es die Medienmoguln gerne hätten. Da sich nicht jeder ballbegeisterte Iberier ein Pay-TV-Abo leisten kann, kommt es ersatzweise zu einer Renaissance der Fernsehstube. Die Leute sitzen gemeinsam bei Fútbol und Cerveza in Kneipen mit Aboanschluss. Und die Wirte reiben sich die Hände. Miguel stört es nicht, dass er nun regelmäßig im Kollektiv in die Röhre guckt. Verständlich: „Bier und Oliven bringen schließlich immer die anderen mit.“

OLIVER LÜCK, 27, freier Autor aus Hamburg, ist Fußballfan. Er kommt ohne eigene Glotze aus