Die Traurigkeit alter Schränke

■ Ein Kaufhaus für Gebrauchtwaren, das den Namen „Happy Shopping“ trägt, muss nicht zwangsläufig lustig sein

Gut, dass es Seniorenzimmer gibt. Ein Bett mit elektrisch verstellbarer Matratze gehört dazu, ein Kleiderschrank in Eiche Furnier, ein Nachttisch. Preis: 1.195 Mark. „Die sind unheimlich begehrt“, sagt Mario Schrör, „morgens aufgestellt, mittags verkauft“. Und der Nachschub ist gesichert: Schrör, der für das Warenhaus „Happy Shopping“ Gebrauchtmöbel durch die Stadt fährt, hat einigen Altenheimen seine Visitenkarte gegeben. Neue Bewohner würden oft schon nach kurzer Zeit sterben, ist seine Erfahrung. Das beschriebene Set sei noch kein Jahr alt. So ist das Leben. Happy Shopping.

Seit 1985 existiert dieses merkwürdige Warenhaus in der Kornstraße. Hier gibt es fast alles, und alles ist gebraucht: Möbel, Haushaltswaren, Bücher, Bilder, Lampen, Schmuck. Spezialabteilungen bieten Bekleidung, Elektrogeräte und Computer an. Bei Happy Shopping gibt es Gürtel mit Gürteltiermotiven (5 Mark), keramische Gänse, die vom Bücherbord herabstarren, Waschmaschinen, Stickbilder mit Kirchen (55 Mark), Aufklärungsliteratur, pelzige Sitzecken. Das Einzige, was bei Happy Shopping neu ist, sind die Hühnersuppe-Konserven neben der Kasse.

Auch wenn Suppe ein seltsamer Anlass ist, über den Sündenfall und all das Böse in der Welt nachzudenken, sollte man es an dieser Stelle trotzdem tun. Denn würde das Menschengeschlecht nicht vom Unglück verfolgt und wäre die Müllverbrennung nicht so furchtbar teuer, gäbe es kein Happy Shopping. Der Tod, Umzüge aus allen erdenklichen Gründen, zerbrechende Ehen sind es, die dem Bremer Familienbetrieb komplette Wohnzimmereinrichtungen bescheren. Natürlich kommen auch Leute vorbei, um irgendetwas in der Kornstraße loszuwerden. Aber es sind die Haushaltsauflösungen, von denen Geschäftsführerin Heidrun Peters – schlank, helle Jeans, Feinstrickpullover – mit wahrer Leidenschaft berichtet.

Kürzlich zum Beispiel, in Borgfeld. „Vom Feinsten“, erinnert sich die 58jährige an ihre Beute, die nebenan gerade montiert wird. Ein Esszimmer, ganz aus schwarz glänzendem Chinalack. Für Heidrun Peters ganz klar ein „super Möbel“, das ihr ein unglückliches Paar verkauft hat. Die Chippendale-Einrichtung nebenan war auch ein guter Fang. Altenheim.

Ganz anders in Huchting: Da habe ihr ein älteres Ehepaar ein französisches Bett mit zwanzig Jahren auf dem Lattenrost andrehen wollen. „Braun-beige“, sei es gewesen, „schlimm.“ Frau Peters sagt dann ganz einfach „Vielen Dank“ und fährt wieder. Überhaupt – sie könne schon an den Gardinen sehen, ob die Ware was taugt. Deswegen fährt sie auch nicht in Viertel wie Osterholz-Tenever. Haushaltsauflösungen, „da wirste knallhart“, sagt sie.

Bevor wir uns auf einen kleinen Gang durchs Haus begeben, noch ein Blick ins Büro, das gleichzeitig als Second-hand-Ausstellungsraum dient: Dort sitzt Frau Peters vor einer Anbauwand, die ihr Gatte Manfred als „namhaftes Designermöbel“ identifiziert, „Hülsta, Modell 55“. Eine Gebrauchtware ganz nach seinem Geschmack. Das Telefon klingelt, und jemand fragt nach den Immobilien, mit denen Sohn Lars makelt. Manfred Peters krault seinen Rottweiler, der grundsätzlich friedlich sein soll. „Nur Schwarze mag er nicht“, sagt seine Frau. Dabei seien das gute Kunden.

1964, als die beiden geheiratet haben, hieß Happy Shopping noch Möbelhaus Peters. Als es jedoch mit der Firma, die der Schwiegervater der heutigen Geschäftsführerin gegründet hatte, bergab ging, entschied man sich für das Second-Hand-Geschäft. „Wir sind ja bei Möbeln geblieben“, sagt Heidrun Peters heute. Die Spezialabteilungen wurden vermietet. Der alte Herr habe also keinen Grund, sich im Grabe umzudrehen. Auch finanziell habe sei man ganz zufrieden. „Und der Hund bekommt was zu fressen“, sagt Herr Peters.

17.30 Uhr. Wie jeden Tag um diese Zeit betritt Wout Schikker den Laden. Seit mindestens sechs Jahren geht er nach der Arbeit zum Shoppen in die Kornstraße. Für den 59-jährigen Holländer, der seit 10 Jahren in Bremen lebt und in einem Großhandel arbeitet, ist das Gebrauchtwarenhaus ein Quell ewiger Freuden: „Man weiß nie im Voraus, was es Neues zu kaufen gibt“, sagt der Jeans-und-Turnschuh–Mann und betrachtet ein verlockendes Stück Tupperware. Seine Essecke hat er hier gekauft, eine Lederjacke, viele CDs. Am meisten freut er sich über den Langlaufski-Trainer, den er kürzlich entdeckt hat.

Happy shopping: Der Fotograf hat kiloweise Fotobücher aus den 70ern entdeckt und packt dicke Tüten. In der Ecke Schmuddelware: „Intime Küsse“ auf 360 Seiten. Das Treppenhaus: Gelb-rot-schwarz lackiert ist es, wie in einem alten Jugendclub. Es folgen: CDs, Strampler ab Größe 52. Platt getretene Teppiche, Öldrucke an den Wänden. Ein paar Soft-Pornos fürs TV. Räume mit Videoüberwachung, in denen sich nichts außer sperrigen Sesseln befindet.

Am Grund eines anderen Treppenhauses steht er dann: Ein Küchenschrank aus den 60ern, weiß gemasert, blaue Zierbänder. Ein Traum in Resopal. Thermometer und Küchenuhr auf der Frontseite sind aus Chrom. Hinter der linken Tür akkurat geschriebene Zettel der ehemaligen Besitzerin: Zum Spargelkochen reichlich Salzwasser mit etwas Zucker und Butter. Daneben der Alba-Würzplan. Ein melancholisches Möbel. Ist die Köchin im Altenheim? Hat sie noch Sinne, zarten, buttrigen Spargel zu schmecken? Ist sie schon tot? Happy shopping. Milko Haase