Die Alchemie des Lebens

■ Clotilde Meija verbindet Dichtung mit Performance. Heute Abend ist die Kolumbianerin live im Kellerclub zu erleben

Clotilde Meija wurde 1953 in Medellin, Kolumbien geboren und lebt seit 22 Jahren in Bremen. Ihr erster zweisprachiger Gedichtband „Iluminados desde adentro – Von innen beleuchtet“ hat zwar noch keinen Verleger gefunden, aber dennoch hat „Cloti“, wie sie von Freunden genannt wird, schon einige Lesungen daraus bestritten.

„Manchmal bin ich selbst überrascht, was so alles in mir drin ist“, sagt Clotilde Meija lächelnd. Sie sitzt auf einer Couch in ihrer kleinen Wohnung im Viertel, die sie zusammen mit ihrer Tochter Yamila (17) und ihrem Sohn Gaspar (10) bewohnt. Der Raum, in dem wir uns befinden, sieht aus wie ein improvisiertes Wohnzimmer: eine Stereoanlage, ein Fernseher, Topfpflanzen und Videospiele ihres Sohnes auf dem Fußboden. Ihre ausdrucksstarken Augen leuchten, wenn sie erzählt, und ihre Hände, die ständig gestikulieren möchten, scheinen sich nicht so recht mit dem Diktiergerät anfreunden zu wollen, das ich ihr gegeben habe.

Immer wieder werden wir unterbrochen: Ihre Tochter möchte etwas wissen, ihr Sohn hat Probleme mit den Hausaufgaben. Clotilde Meija ist eine vielbeschäftigte Frau. Wann findet sie die Ruhe und die Zeit, um künstlerisch tätig zu sein? „Das frage ich mich auch“, lacht sie. „Ich bin jetzt schon seit zweiundzwanzig Jahren Mutter, fast die Hälfte meines Lebens. Da hat es immer wieder Unterbrechungen gegeben. Ich mache meine Kunst eher nebenbei, aber ich habe das Gefühl, dass es nicht bei diesem „Nebenbei“ bleiben sollte – die Kunst sollte die Mitte sein, von der aus alles ausstrahlen kann. Aber die Kreativität sucht sich auch so ihre Wege. Mir fallen zum Beispiel Gedichte beim Yoga ein oder beim Abwaschen.“

Eine Performance von ihr ist ein multimediales Gesamtkunstwerk, eine „runde Sache“, wie sie sagt. Sie trägt die spanischen Texte frei vor, die deutsche Übersetzung kommt aus dem Off; dazu tanzt sie in einer ganz eigenen Körpersprache („eine Mischung aus Yoga und Leben“), während die farbenfrohen Stoffbilder, die sie aus kolumbianischen Stoffen genäht hat, als Dias auf ihren Körper und auf die Leinwand projiziert werden.. So entsteht eine intensive, vibrierende Atmosphäre, einen Fluss von Sinneseindrücken, der jedesmal eine etwas andere Richtung nimmt, denn keine Performance ist identisch mit den vorigen. „Insgesamt ergibt das weniger eine Geschichte als eine Sequenz von verschiedenen Lebensphasen .“

Phasen aus einem wahrlich bewegten Leben. Sie begann schon früh zu schreiben, damals noch in Kolumbien. Diese Zeit nennt sie heute ihre „Punk-Phase“: „Das waren ganz wilde, anarchistische Sachen“. Zwischendurch trat das Schreiben mehr in den Hintergrund, bis sie es vor sechs Jahren wieder verstärkt aufnahm. Damals starb ihr Mann, „die Liebe meines Lebens“, wie sie sagt, nur sechs Monate nach der gemeinsamen Heirat. „Ich habe mich in mich gekehrt und bin sehr spirituell geworden ... ich habe so viele Einsichten gewonnen und so viel gelernt ... was kann ich sagen? ... ich habe Sachen wahrgenommen, die ich noch nie so gespürt hatte.“

Mit ihrem Leben hat sich auch ihre Kunst verändert, „Iluminados desde adentro“ ist ein Zeugnis dieser Wandlung. Am meisten interessiere sie nun die Entwicklung, die Veränderung von Menschen. „In der Gemeinsamkeit ist sehr viel Verschiedenheit ... jeder für sich ist eine Welt, und die bleibt immer ein Geheimnis ... Kunst ist die Möglichkeit, in sich selbst einzudringen, sich selbst zu erforschen, um sich wenigstens dem eigenen Geheimnis etwas anzunähern.“ Ein schöneres Schlusswort hätte ich nicht finden können. Tim Ingold

Performance heute Abend um 21:33 Uhr in Meister Proppers Keller, Weberstraße 44. Die deutsche Übersetzung liest die Bremer Schauspielerin Monika Frenking