Das Warten der Wanderer

Mattias Caduffs Filmessay „Paul Celan – Gespräch im Gebirg“ in der Brotfabrik nähert sich dem Dichter durch beharrliches Fragen, Zweifeln und Nicht-Verstehen

Es ist immer wieder schockierend, Kulturmagazine im Fernsehen zu sehen, vor allem wenn es um Literatur, Philosophie und dergleichen gibt. Die Bilder, die den immer schon verstandenen Texten unterlegt sind, pflegen sie in der konventionellen TV-Ästhetik aufs primitivste und anmaßendste festzustellen und ignorieren den Raum, den die Worte öffnen wollten.

Ganz anders geht der Schweizer Regisseur Mattias Caduff in seinem Filmessay über Paul Celans Erzählung „Gespräch im Gebirg“ vor. Hier steht das Nichtverstehen am Anfang; ein Mann in seiner Wohnung, an seinem Tisch vor einer Geschichte Celans, die er nicht begriff, die er immer wieder studiert, auf dass sich ein Verstehen einstellen möge vor der unbewegten Kamera. Er liest, er malt die Worte der Geschichte an die Wände seines Zimmers; blaue Farbe und Milch gießt er in seine Badewanne, um sich der Gletschermilch im Text zu nähern. Es geht um das „Gespräch im Gebirg“, das Celan 1959 schrieb, nachdem Adorno zu einem von Peter Szondi arrangierten Treffen in Sils Maria nicht gekommen war. Celan hatte mit Adorno über dessen Diktum reden wollen, dass es barbarisch sei, nach Auschwitz noch Gedichte zu schreiben.

Celans Geschichte erzählt von einem Treffen zweier Juden im Gebirge. Vielleicht ist es auch nur ein Jude, der Selbstgespräche führt über das, was es heißt, Jude zu sein. Die Geschichte sei schwierig, würde der Hausverstand sagen. „Ein Sprachwerkzeug auf zwei Beinen sind die Juden“ und „ein Lesegerät bin ich sonst nichts“, heißt es im Text. Verstehen ist ein Prozess. Mimesis kann hilfreich sein. Caduff stellt das Gespräch im Scherenschnitt nach oder zeigt so leicht verwischte Videoaufnahmen aus Czernowitz, der vielsprachigen ukrainischen Heimatstadt Celans. Knapp und gänzlich unlehrerhaft erzählt er von Celan; von 1941, als die Rote Armee Czernowitz verließ, um sie den mit Nazideutschland verbündeten Rumänen zu überlassen, von der Verfolgung, dem Ghetto, dem Weg des Dichters über Bukarest nach Paris und nie wieder Deutschland.

Man hört die Stimme des Dichters; man versteht nicht alles in diesem Film über das Verstehen einer Geschichte. Man möchte sie dann später lesen.

DETLEF KUHLBRODT

„Paul Celan – Gespräch im Gebirg“. Deutschland/Schweiz 1999. 59 Min. Bis 4. Oktober, 19 Uhr, Brotfabrik, Prenzlauer Promenade 3