Mit Geduld und Tonfa

Die mobile Polizeieinheit gegen Gewalt in Brandenburg beobachtet Treffs der Rechten und besucht Veranstaltungen von potenziellen Nazi-Opfern

von RICHARD ROTHER

Die Begrüßung ist kurz, der Befehl knapp: „Einsatz gegen rechte Klientel, DGL übernimmt die Führung.“ Hartmut Meyer*, Chef der Mega-Einheit, verlässt sich auf seine Kollegen, die schon mehr als 100 Kilometer Streifenfahrt in den Knochen haben. Vier Beamte der Mega, der mobilen Einsatztruppe gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit, sind an diesem Samstagabend gegen Mitternacht nach Prenzlau, einer Kleinstadt 100 Kilometer nordöstlich von Berlin, gekommen. Sie werden von Bernd Kollin, dem örtlichen Dienstgruppenleiter (DGL), zu einem Spontaneinsatz erwartet.

Am „Daily“, dem Treffpunkt der Rechten in einem Neubaugebiet, geht alles ganz schnell. Die Polizeiwagen rasen auf den Parkplatz. Das knappe Dutzend Beamte kreist die Jugendlichen ein, die vor der Tür herumlungern. Noch im Laufschritt werfen sich die Mega-Beamten in Zivil ein grünes Leibchen mit der Aufschrift „Polizei“ über die Schulter. „Wat soll’n ditte?“, ruft ein Jugendlicher, auf dessen Käppi in Runenschrift „Skinhead“ steht. „Wir sind noch nicht verboten.“ Die anderen jodeln beifällig.

„Ruhe!“, herrscht Kollin die Clique an. „Es gab Beschwerden wegen Ruhestörung.“ Die Party sei jetzt zu Ende. Alle auf dem Parkplatz sollen zur Personalienüberprüfung in die Kneipe. Drinnen deutet nichts auf die rechte Szene hin; im Billardzimmer hängt gar ein Simpsons-Poster an der Wand. „Hier regiert weiße Power“, grölt ein Angetrunkener. Ein anderer stimmt Fußballfangesänge an: „Haaaansa Rostock“.

Schon Stunden zuvor sind Reiner Lehmann* und Enrico Kiefer* mit einem dunklen 90-PS-Golf unterwegs. Erst seit Anfang September sind die beiden Beamten bei der Mega. Ihr erster Einsatzort ist der Bahnhof Basdorf. Hier soll es in letzter Zeit häufiger rechtsextremistische Schmierereien gegeben haben. Die Polizisten schleichen auf den totenstillen Bahnsteig, schauen sich kurz um. „Nix los“, sagt Lehmann.

Der nächste Einsatzort liegt 50 Kilometer entfernt. Die Mega-Polizisten sollen ein Auge auf einen alternativen Jugendklub werfen, in dem ein deutsch-indisches Fest stattfinden soll. Am frühen Abend ist allerdings schon alles duster, und die nächsten 100 Kilometer sind abzureißen.

„Wenn nichts passiert, ist alles o. k.“, sagt Lehmann. Aber kaum sei man weg, könne die Klientel auftauchen. Dennoch hält er es für sinnvoll, dass sich eine Einheit verstärkt um die Rechten, ihre Musik und ihre Symbole kümmere. Die Klientel sei mobil, also müsse auch die Mega mobil sein. Lehmann gibt Gas, brettert mit 100 über die stockdunkle Landstraße. Die Stoßdämpfer des Golfs sind nicht mehr die neusten, alle fünf Minuten setzt der Wagen auf.

Die Mega beobachtet Szenetreffpunkte, besucht Veranstaltungen potenzieller Opfer rechter Gewalt und ist – falls sie gerade in der Nähe ist – spontan bei Einsätzen dabei. „Die Mega ist eine hoch wirksame und motivierte Truppe“, sagt ein Eberswalder Polizeisprecher. Die Klientel sei durch das präventiv-repressive Vorgehen in den ländlichen Bereich verdrängt worden.

Auch die Brandenburger Ausländerbeauftragte Almuth Berger lobt die Mega. Sie sei zwar kein Allheilmittel, aber ein Mosaikstein im Kampf gegen rechte Gewalt. Häufig habe die Truppe rechte Versammlungen aufgelöst. Wie viel Gewalt dadurch verhindert wurde, sei unklar. „Aber jede Gewalttat weniger ist ein Erfolg.“ Und Anetta Kahane von der Antonio-Amadeu-Stiftung machte nur gute Erfahrungen mit der Einheit. „Die sind da, wenn wir sie brauchen“, sagt Kahane, die Veranstaltungen mit Flüchtlingen organisiert.

Andere sehen die Truppe kritischer. „Die Mega macht eine sinnlose Feuerwehrpolitik“, sagt Susanne Lang von Antirassistischen Jugendbündnis Brandenburg. Damit werde nur die innere Sicherheit aufgerüstet, kritisiert die 24-Jährige, die als Mitinitiatorin der „Aktion Noteingang“ den diesjährigen Aachener Friedenspreis erhalten hat. Schließlich gehe die Mega auch gegen ganz normale Jugendliche vor, zum Beispiel wegen Ruhestörung. „Das riecht nach Polizeistaat.“ Stattdessen müssten mehr lokale Initiativen gegen rechts gefördert werden, sagt Lang. Wer wirklich etwas gegen rechte Gewalt unternehmen wolle, müsse zudem gegen den Rassismus innerhalb der Polizei vorgehen. „Der Rassismus kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Polizei-Rambos sind eher das Problem als die Lösung.“

Als Rambo fühlen sich Lehmann und Kiefer nicht. „Ich prügel mich nicht gern“, sagt Kiefer, der einmal Türsteher in einer Disko war. Aber man müsse sich in Gefahrensituationen verteidigen können. Viermal pro Woche trainiert der 29-Jährige, dessen Schulter breiter als der Autositz ist. Die beiden Beamten sind, wie alle ihre Kollegen, freiwillig in die Sondereinheit gewechselt. Doch die anhaltende Nazi-Gewalt steht dabei selten im Vordergrund. Eher geht es darum, dem wenig abwechslungsreichen Normaldienst mit Geschwindigkeitskontrollen und Ähnlichem zu entkommen und sich weiterzubilden. Dafür nehmen sie sogar permanente Nachtarbeit ohne Mehrverdienst in Kauf.

Zu 80 Prozent kennen die Eberswalder Mega-Männer „ihre Klientel“. Und zeigen ein gewisses Verständnis. „Wenn die Linken sich treffen dürfen, können wir das den Rechten nicht verbieten“, meint Lehmann. Es dürfe nur nichts passieren. Der Enddreißiger hat eine einfache Erklärung für die rechte Gewalt: zu wenig Jugendklubs. Die jungen Leute wüssten nicht, wo sie nach der Arbeit oder der Schule hingehen sollen. „In der DDR wurde mehr für die Jugend gemacht.“ Wenn man die Jugend beschäftige, könne man auch das Gewaltpotenzial abbauen, meint Lehmann. Aber es gebe kein Geld. Seine Frau ist Sozialarbeiterin an einer Schule, kämpft gerade um die Verlängerung ihrer ABM-Stelle. Lehmann lässt die Schultern sinken: „Heute guckt jeder nur, wie er an Geld kommt.“

Die Lage vor der Szenekneipe in Prenzlau hat sich nach einer knappen Stunde zugespitzt. Die Polizisten sprechen Platzverweise aus, wollen die Rechten nach Hause schicken. Doch kaum einer reagiert. Ein Glatzkopf mit einem Sweatshirt der Marke Lonsdale – wegen der vier Buchstaben in der Wortmitte bei Rechten beliebt – fuchtelt mit einem Schlüsselbund herum, als habe er ein Klappmesser in der Hand. „Sind wir hier in Deutschland oder in der Walachei?“, grölt ein anderer.

Plötzlich greifen Lehmann und Kiefer zu, packen einen der besonders hartnäckigen Rechten an den Schultern, ringen den Mann zu Boden und ziehen dessen Arme mit dem Tonfa, einem asiatischen Schlagstock, auf seinen Rücken. Dann durchsuchen sie den Betrunkenen, schieben ihn in den Streifenwagen, fahren Richtung Revier. Die kaum 14-jährige Freundin des Skinheads weint, die blond gefärbten Haare aus dem Gesicht streichend.

In der Kneipe dreht der DJ die Musik runter. Vor der Tür pfeift ein kalter Wind. Nach und nach ziehen die Rechten ab. An einer Tankstelle, rund 200 Meter entfernt, treffen sie sich wieder.

*Namen von der Redaktion geändert