Grün bleibt nur die Hoffnung

Nach 20 Jahren Opposition ist die Alternativpartei personell und programmatisch ausgelaugt. Nun liebäugelt die SPD auch noch mit der PDS. Für die Berliner Grünen bleibt nur eine Statistenrolle

von RALPH BOLLMANN

Endlich wieder ein zentrales Thema: Weil sich der Verkehrssenator an der europaweiten Alibi-Aktion eines autofreien Tages nicht beteiligte, blockierten gestern zwölf grüne Abgeordnete fünf Minuten lang das Brandenburger Tor. Dass der Verkehrssenator für den morgigen Sonntag eine Anti-Auto-Party anberaumt hat, konnte die Oppositionspolitiker nicht beruhigen. In dieser „Konsum- und Festmeile“ drohe das Anliegen des autofreien Tages unterzugehen, monierten die grünen Parlamentarier in gewohnt lustfeindlicher Manier. „Ganz Europa autofrei – Berlin ist nicht dabei“, hieß es auf einem selbst gemalten Transparent.

Beim Publikum stießen die Reime im Stil der Achtziger auf wenig Gegenliebe. „Haut ab, ihr Chaoten“, tönte es von einer nahen Baustelle. „Macht den Liter Benzin doch gleich 10 Mark teurer“, riet ein Passant den Politikern – und die wartenden Autofahrer forderten hupend ihr „Recht auf freie Fahrt“ ein.

20 Jahre Opposition

Die Zeiten, in denen die Grünen mit solch immer gleichen Floskeln eine festgefügte Anhängerschaft mobilisieren konnten, sind längst vorbei. Seit fast zwanzig Jahren sitzen sie in der parlamentarischen Opposition, nur kurz unterbrochen von den zwanzig Monaten der gescheiterten rot-grünen Koalition. Seit fast zwanzig Jahren erfährt das geneigte Publikum, was die Grünen alles besser machen würden – wenn sie denn könnten.

Parteien werden gewählt, damit sie regieren – da machen die Grünen keine Ausnahme. Doch in Berlin ist die Alternativpartei davon weiter entfernt denn je. Seit dem Beitritt Ostberlins herrscht in der Stadt eine politische Arithmetik, die den Grünen nur noch eine Statistenrolle zuweist. Zehn Jahre lang haben sie vergeblich gehofft, gemeinsam mit der SPD die Mehrheit zurückzuerobern. Bei der letzten Wahl kamen beide Parteien zusammen nicht einmal mehr auf ein Drittel der Stimmen.

Auslaufmodell Rot-Grün

Allmählich reift die Erkenntnis: Das rot-grüne Modell aus den westlichen Bundesländern lässt sich nicht auf eine Stadt übertragen, die zur Hälfte vom ostdeutschen Dreiparteiensystem geprägt ist. Die SPD hat ihre Schlüsse gezogen – und macht der PDS unverblümt Avancen. Im Ost-West-Fusionsbezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat die neue Farbkombination ihren Testbetrieb schon aufgenommen.

Dort waren die Grünen an den Gesprächen noch beteiligt. Auf Landesebene ist das höchst ungewiss. Das Bündnis mit den Sozialisten wird die SPD nur wagen, wenn sie aus der nächsten Wahl – ganz gleich, ob sie erst 2004 stattfindet oder schon 2002 – mit einem klaren Regierungsauftrag hevorgeht, also die magische Grenze von 30 Prozent deutlich überspringt. Dann aber kommt es, wenn die PDS ihren 18-Prozent-Erfolg von 1999 wiederholt, auf die Grünen gar nicht mehr an: Die beiden Parteien mit proletarischer Tradition könnten auch ohne die bürgerliche Linkspartei regieren.

Kein Wunder also, dass die Grünen bereits nach neuen Bündnispartnern Ausschau halten – und einen CDU-Mann zum Bürgermeister des neuen Regierungsbezirks wählen wollen. Dabei wird es vorerst bleiben: Der Schatten, über den Schwarze wie Grüne für ein solches Bündnis springen müssten, ist noch immer ziemlich groß.

Die schlechten Koalitionsaussichten sind ohnehin nur das Symptom, nicht die Ursache der grünen Krise. Die hilflosen Versuche, die Verschiebung eines autofreien Tages zum Skandal zu machen, zeigen: Verzweifelt hält die Partei an ihren alten Themen fest, ihr Verhältnis zum „neuen“ Berlin hat sie noch immer nicht gefunden. Die Folge: Im öffentlichen Diskurs der Stadt spielt die Partei kaum noch eine Rolle.

Abwehr des Zeitgeistes

In den Achtzigerjahren gaben die Alternativen die Themen vor, und die anderen trabten hinterher. Heute ist es umgekehrt: Was in der Gesellschaft geschieht, vollziehen die Grünen mit deutlichem Widerwillen nach, und oft genug bleiben sie auf halber Strecke stecken. Der Versuch, einen grünen Begriff von „Metropole“ zu formulieren, wurde von der Basis mit eisigem Schweigen beantwortet – obwohl des Landesvorstand versichert hatte, „auf gar keinen Fall“ wolle man „einfach den Zeitgeist erkunden“.

Auch personell hat die verordnete Erneuerung nicht funktioniert. Die jüngeren Abgeordneten, die in der vorigen Wahlperiode in die vordere Reihe aufrückten, mussten der Generation der 50-Jährigen wieder Platz machen. Jetzt trösten sich die Akteure, die Qualität von Politik hänge nicht vom Alter der Akteure ab. Das mag für andere Parteien zutreffen, für die Grünen ist die Wirkung der gescheiterten Operation fatal: Sie bestärkt das Bild der Ein-Generationen-Partei.

Auf fast allen wichtigen Gebieten wissen die Grünen nicht mehr, was sie wollen. So fordert der Haushaltsexperte striktes Sparen, während die Fraktionschefin gegen strengere Regeln bei der Arbeitsbeschaffung protestiert. Da hat die Partei ihre profilierteste Schulpolitikern ausgebremst, um anschließend ihre bildungspolitische Ratlosigkeit auf dem nächsten Sonderparteitag öffentlich zu inszenieren. Politiker mit Regierungserfahrung aus der kurzen rot-grünen Zeit sind mittlerweile dünn gesät. Mit Renate Künast und Michaele Schreyer sind die beiden prominentesten Köpfe der Partei in die Bundes- und Europapolitik abgewandert.

Aura der Biederkeit

Anders als CDU oder SPD mussten sich die Grünen dem politischen Wettbewerb lange Zeit nicht ernsthaft stellen. Als Milieupartei wurden sie ohnehin gewählt – ähnlich wie heute die PDS. Viele grüne Funktionäre können es nicht fassen, dass mittlerweile eine Generation nachgewachsen ist, die auf manch pubertären Sponti-Spruch einen ebenso kritischen Blick wirft wie auf plumpe Propaganda der politischen Konkurrenz. Was einst revolutionär wirkte, strahlt heute – von der Sprache bis zur Garderobe – die Aura einer gewissen Biederkeit aus.

Das Problem haben die grünen Strategen erkannt, doch manch aufgesetzter Verjüngungsversuch wirkt so peinlich wie ein früherer SPD-Vorsitzender, der im Wahlkampf zu Techno-Klängen tanzte. Bleibt aber alles beim Alten, dann wird aus den Berliner Grünen ein tragischer Fall.