Käsige Kühle einsaugen

Der Sommer klingt aus, und der rot-weiß gestreifte Sonnenschirm ist weggeweht

Mir ist schleierhaft, wie andere das können: stundenlang am Strand zu hocken und sich schutzlos der Sonne hinzugeben. Sobald ich dies auch nur zehn Minuten lang versuche, macht sich in meinem Hirn ein alles andere abstumpfender Hitzedumpf breit, den ich aber nicht unbedingt brauche. Deshalb: Ohne Schatten läuft bei mir nichts im Sommer. Ausgeschlossen. Schattenlos setze ich mich nicht in die Sonne.

Meist findet sich ja ein schattiges Plätzchen, an dem sich es selbst im steilsten Hochsommer gut aushalten lässt. Und falls mal nicht, dann muss ein mobiler Schattenspender her, wie ein Sonnenschirm einer ist und ich mir bereits im vergangenen Herbst vorsorglich einen besorgt hatte, weil da die Sonnenschirmmodelle der auslaufenden Saison 99 als Sonderangebote verkauft wurden. Meiner aber war ein recht hübscher und von klassischem Design obendrein, nämlich – und wie es sich für einen Sonnenschirm gehört – ein rot-weiß gestreifter.

Doch in diesem deutschen Sommer brauchte es keinen Schattenspender, weil dieser deutsche Sommer selbst der Schatten war. Ganz anders übrigens als der spanische Sommer, insbesondere der auf der Insel Ibiza, wohin wir unsere diesjährige Verlobungsreise unternahmen. Doch nicht mal da kam mein rot-weiß gestreifter Sonnenschirm zum Einsatz, und das hatte einen schlichten Grund: Es war einfach zu heiß auf Ibiza. Da konnte einem auch der schattigste Schattenspender nicht mehr helfen.

Dermaßen krawallte dort die Sonne, dass bereits morgens der frisch aufgebrühte Kaffee in der Tasse eher noch ein paar Grade zulegte, statt allmählich abzukühlen, wie man es gewohnt ist. Da blieben wir lieber im hermetisch abgedunkelten Haus und taten den Tag über nichts, als uns ständig mit Wasser zu benetzen, das wir im Kühlschrank nass und kühl zu halten versuchten. Gegen Abend ging’s dann in die Frischwarenabteilung eines nahe gelegenen Supermarktes, wo wir täglich eine gute Stunde zwischen Milchregal, Käsetheke und Fleischtresen lustwandelten, um die leicht käsige Kühle hier einzusaugen und so die Temperaturen unserer aufgeheizten Körper auf ein erträgliches Level runterzupegeln. Erst kurz vor Sonnenuntergang wagten wir uns auf ein Stündchen an den Strand und kurz auch ins Meer, aber nur, um dort für ein paar Minuten toter Mann zu machen. Schwimmen oder dergleichen war nicht möglich. Bei Wassertemperaturen um die, gefühlt, 35 Grad kam man dabei einfach zu sehr ins Schwitzen.

Bei solchem Tagesablauf blieben natürlich auch unsere Hautfarben eher blass; und das umso mehr, da wir selbst noch in der einsetzenden Dämmerung hitzeabweisende Kopfbedeckungen und Sonnenbrillen trugen und, trotz der auf Ibiza sehr verbreiteten Nacktheit, konsequent unsere Badekleidung anbehielten: ich meinen schwarzen Badeanzug, meine Verlobte ihren sündhaft roten Einteiler, der ihr allerdings im Kontrast zu der fliederweißen Farbe ihrer Schenkel nicht nur etwas sehr Leuchtturmhaftes, sondern auch sehr Erotisches verlieh. Denn unter lauter Nackten ist die Einteilige nun mal Königin. Ließ ich sie für einen Moment allein, dauerte es jedenfalls nicht lange, dass irgendwelche braun gebrannten Beach-Boys mit hängender Zunge und mal mehr, mal weniger hängendem Geschlecht um sie herumtropften, um ihr hechelnd ihre Aufwartung zu machen.

In den wohltemperierten deutschen Sommer zurückgekehrt, kam es dann doch noch zu einem Einsatz meines rot-weiß gestreiften Sonnenschirms. Bei einem Tagesausflug Ende August nach St. Peter-Ording spannte ich ihn am Nordseestrand für einige Minuten auf. Er warf zwar keinen Schatten, weil die dafür notwendige Sonne partout immer noch nicht scheinen wollte, aber er war sehr hübsch anzusehen: eine rot-weiß gestreifte Augenweide zwischen all den anorakfarbenen Regen- und Windschutzinstallationen, die, wie es mittlerweile an der deutschen Küste üblich ist, zahllos den ungetrübten Blick aufs Meer verstellten. Und so wie meine rot-weiße Verlobte neulich noch am Strand von Ibiza zwischen all den braun gebrannten Nackten so weithin geleuchtet hatte, so leuchtete jetzt hier zwischen den fröstelnden und mischbunt textilierten Nordseeurlaubern mein rot-weiß gestreifter Sonnenschirm – bis er von einer Windböe erfasst und umgeweht wurde. Kurz darauf begann es zu schneien. FRITZ TIETZ

Hinweis:Es brauchte keinen Schattenspender, weil dieser deutsche Sommer selbst der Schatten war