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: Nilpferde im Diskusring

Tierleben

Ganz langsam spreizt sich der Unterkiefer immer ein Stückchen weiter vom Oberkiefer ab. Der Mund dehnt sich unaufhörlich zu einem gewaltigen Gähnen. Statt verbalem Mist kriecht ein körperwarmer Luftzug aus den inneren Tiefen hervor. Die Frühstücksreste zwischen den Zähnen des Bürokollegen lassen Rückschlüsse auf das inzwischen Verdaute zu. Vor lauter Müdigkeit findet die Hand den Weg zum Mund nicht mehr. Guten Morgen Deutschland. Auch zu viel Sydney geguckt? Erinnerungen an den letzten Zoobesuch werden wach. Vor allem ans Nilpferdgehege.

Besonders leistungsfähig sind weder Nilpferde noch müde Menschen. Zu schwerfällig die einen, zu unkonzentriert und müde die anderen. Schwimmen können Flusspferde zwar, aber nicht schnell genug. Übernächtigte Menschen treffen Zielscheiben weniger sicher als ausgeschlafene. Man denke nur an die Erschütterung, die das Gähnen bei seiner Wanderung durch den Körper verursacht. Aber: Dass diese zunehmende Nilpferdisierung auch die sonst agilen und spritzigen Sportler bei Olympia befällt, war bisher unbekannt. Vor diesem Hintergrund müssen die Leistungen in Sydney betrachtet werden. Dr. Josef Zully, Leiter des schlafmedizinischen Zentrums an der Universität Regensburg vermutet, dass die Athleten durch mangelnde Anpassung und die Zeitverschiebung wie Nilpferde durch die Gegend trampeln. „Wenn der biologische Rhythmus nicht stimmt, sind Schlafstörungen, Verdauungsprobleme und Konzentrationsschwächen die Folge“, meint Zully, der seit 25 Jahren am Schlaf forscht. Auch der lange Aufenthalt in den Sporthallen verzögert nach Ansicht des Wissenschaftlers die Anpassung des biologischen Rhythmus. „Das Tageslicht ermöglicht eine schnellere Anpassung an die neue Umgebung“, erklärt er die schlechten Leistungen der ersten Tage.

Probleme, die, weil an frischer Luft, die Leichtathleten nicht treffen werden. Aber die konzentrieren sich sowieso eher auf Disziplinen, die für Nilpferde gemacht scheinen. Kugelstoßen, Diskuswerfen, Hammerwerfen. Oder nehmen wir die deutschen Handballer, die sich kraftvoll wie Flusspferde gegen die übermächtigen Russen durchtankten und gegen die flinken Südkoreaner schwerfällig wie der Hippopotamus wirkten. Unsere tierischen Leidensgenossen haben es da besser. Die versuchen gar nicht erst, Höchstleistungen zu bringen, sondern dösen lieber nur rum. Gute Nacht in Sydney. OKE GÖTTLICH