Widerstand überlebt Atomkonsens

5.000 Atomkraftgegner protestieren in Gorleben gegen die angebliche Ausstiegspolitik der rot-grünen Bundesregierung. Bürgerinitiativen kündigen Blockaden der am Freitag genehmigten neuen Castor-Transporte nach Frankreich an

aus Gorleben JÜRGEN VOGES

Mit einer unerwartet großen Demonstration am Gorlebener Zwischenlager hat sich am Wochenende die außerparlamentarische Bewegung gegen die Atomkraft zurückgemeldet. Unter dem Motto „Atomausstieg? – Alles Lüge!“ zogen am Samstag 5.000 AKW-Gegner, die von AKW-Standorten aus dem gesamten Bundesgebiet angereist waren, vom wendländischen Dörfchen Gedelitz zu den Atomanlagen im Wald bei Gorleben.

Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg hatte bei der Demonstration, zu der zahlreiche Anti-Atom-Initiativen und Umweltverbände aufgerufen hatten, nur mit knapp 2.000 Teilnehmern gerechnet. Als die Demonstrierenden unterwegs als Symbol des Widerstands gegen die Atomtransporte ein großes „X“ aus Menschen bilden wollten, erwies sich denn auch das auf einem Acker abgesteckte Areal als viel zu klein und konnte nicht einmal die Hälfte der Leute fassen. In den Zug hatten sich auch 20 Trecker der wendländischen Bäuerlichen Notgemeinschaft eingereiht, deren Anhänger von diversen Standortinitiativen, etwa aus Ahaus, Neckarwestheim und Brokdorf, geschmückt worden waren.

Auf der Kundgebung vor dem Gorlebener Zwischenlager hob der Stifter des Alternativen Nobelpreises, Jakob von Uexküll, die wichtige Rolle der Bürgerbewegung hervor: „Wenn Regierungen ihre zentralen Ziele verraten, müssen wir für mehr Gegendruck im Interesse der Demokratie sorgen.“ Die Umweltbewegungen im Ausland hätten auf die deutsche Ausstiegsankündigung begeistert reagiert. „Umso größer war das Entsetzen, als sie merkten, dass es statt Ausstieg einen Bestandsschutz für die AKWs gibt.“ Für die Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad rief der Betriebsratsvorsitzende des VW-Werks Salzgitter, Andreas Blechner, zum Widerstand gegen die Wiederaufnahme der Atommülltransporte auf.

Anklang fanden auch die ehemaligen Grünen-Vorsitzenden Thomas Ebermann und Rainer Trampert, die mit vollmundigen Ankündigungen eines einstigen Mitstreiters – Bundesumweltminister Jürgen Trittins – ein Politkabarett bestritten.

Am Abend versammelten sich 200 Vertreter von Standortinitiativen aus dem gesamten Bundegebiet zu einer spontanen Herbstkonferenz der Anti-AKW-Bewegung. Auf dem Treffen bestand Einigkeit darüber, dass die erneuten Transporte von Atommüll in die Wiederaufarbeitung ernsthaft blockiert werden sollen. Schließlich hatte das Bundesamt für Strahlenschutz gerade noch rechtzeitig zu der Demonstration am Freitag mitgeteilt, dass es acht Transporte von abgebrannten Brennelementen aus den AKWs Biblis, Philippsburg und Stade nach Frankreich genehmigt und damit den im Mai 1998 noch von Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU) verhängten Transportstopp endgültig aufgehoben hat.

Man rechne damit, dass der erste Transport nach Frankreich möglicherweise schon Ende Oktober im AKW Philippsburg starten werde, sagte der Sprecher der BI Lüchow-Dannenberg, Wolfgang Ehmke. Die nächste Aktion werde am 8. Oktober in Philippsburg stattfinden. Nach Angaben ihres Sprechers Jochen Stay steckt auch die Aktion „X-tausendmal quer“ bereits in den Vorbereitungen einer großen Sitzblockade.

BI-Sprecher Ehmke resümierte den Aktionstag nicht ohne Stolz: „Mit der Anti-AKW-Bewegung ist wieder zu rechnen, mit dem Kompromiss zwischen Regierung und AKW-Betreibern findet sie sich nicht ab.“