Vom Schrecken zur Hoffnung

aus Berlin CHRISTIAN SEMLER

„taz muss sein“ – aber warum eigentlich? Diese bohrende Frage, von Liebhabern wie von Verächtern unseres Projekts in letzter Zeit geradezu litaneiartig wiederholt, spielte bei der Genossenschaftsversammlung der taz eine untergeordnete Rolle. Wer sich am Samstag in der „Pumpe“ in Berlin-Schöneberg einfand, und das waren an die 200 von 4.952 Genossen, hatte seine Entscheidung längst getroffen: taz muss sein.

895.000 Mark haben die Genossen dieses Jahr eingelegt, im September, dem ersten der Rettungsmonate, allein 199.000 Mark: Resultat vor allem der Aufstockungen, die Genossen der „ersten Stunde“ tätigten. 8,1 Millionen Mark beträgt die Gesamtsumme der Einlagen. Diese Zahl kann besser würdigen, wer sich vor Augen hält, dass Genossenschaftseinlagen steuerlich nicht absetzbar sind. Nur wenige der Genossen haben im Lauf der unruhigen Zeiten kalte Füße bekommen. Die taz zahlt jährlich zwischen 50.000 und 70.000 Mark Einlagen zurück. Was noch? Die Genossenschaft ist kein abgeschlossenes, totes Projekt. 430 neue Genossen kamen dieses Jahr hinzu, darunter ein 18-Jähriger, der das 1.000-Mark-Geldgeschenk seines Vaters für den Erwerb eines Anteils zweckentfremdete. Eine herzerwärmende Geschichte in Zeiten der Krise.

Die Versammlung begann mit Schrecken und endete in Hoffnung. Zu Beginn teilte der Wirtschaftsprüfer mit, er habe für die Bilanz des Jahres 1999 den Bestätigungsvermerk verweigert. Ausschlaggebend war für ihn, dass die Geschäftsführung sich nicht in der Lage sah, für 2001 eine Fortbestandsgarantie abzugeben. Die Folge: Eine „Zerschlagungsbilanz“ (siehe Interview) müsste eigentlich her. Dieser düsteren Einschätzung widersprachen sowohl Aufsichtsrat als auch Vorstand und Geschäftsführung. Sie beurteilen die Aussichten der neuen Rettungskampagne vorsichtig optimistisch. Geschäftsführer Karl-Heinz Ruch stieg tief hinab ins Reich der Metaphern und verglich die Rettungskampagnen mit den vierjährlich stattfindenden Olympischen Spielen. Es werde immer schwieriger, im Test zu bestehen. Denn die Disziplin, in der die taz antritt, hat Sisyphos erfunden.

Allerdings hat der Aufsichtsrat zur Auflage gemacht, für die „Fortsetzungsprognose“ ein Szenario des schlechtmöglichsten Falles aufzustellen. Die Seitenanzahl soll nicht angetastet werden, aber ein weiterer Stellenabbau wäre dann unumgänglich. Langes Siechtum und schließlicher Tod sind in der Prognose des Aufsichtsrats allerdings nicht vorgesehen. Ein Stiftungsmodell? Doch noch der von vielen ersehnte Investor? In Ermangelung einer greifbaren Alternative bleibt nur das bekannte Vertrauen auf die eigenen Kräfte.

In der Generaldiskussion mangelte es weder an realistischen Einschätzungen noch an Vorschlägen. Schematisiert und personalisiert, können vier Grundtypen von Diskussionsteilnehmern (hauptsächlich männlich und an Jahren schon fortgeschritten) unterschieden werden. Alpha war nicht sehr zahlreich vertreten und handelte nach der Devise „If everything is bad, it’s good to know the worst“. Geschäftsführung und Aufsichtsrat wurden aufgefordert, ein klares und vereinheitlichtes Wort zur „Fortsetzungsgarantie“ im Jahr 2001 abzugeben. Ja oder nein. Falls nein, gelte es, den bitteren Weg der „Zerschlagung“ zu beschreiten. Diese Einwände schlugen sich in einer Reihe von Enthaltungen bei der Entlastung von Aufsichtsrat und Vorstand nieder, ohne das Bild allgemeinen Vertrauens zu trüben.

Beta war zahlreich vertreten und folgte der Devise des Vorsitzenden Mao, mit angespannter Kopfhaut durchzuhalten. Bei Beta herrscht starke Projektorientierung, selbst wenn, wie es ein Diskussionsteilnehmer ironisch ausdrückte, der Tauschwert der taz gegenwärtig höher sei als der Gebrauchswert. Bei Beta wird die Genossenschaftseinlage als Solidaritätsakt verstanden.

Gamma übt scharfe Kritik an der inhaltlichen Ausrichtung der taz. Ein Teil der Gamma-Kohorte empfiehlt klare Positionsbestimmung und Ausrichtung an den großen linken Themen der Gegenwart, etwa dem Kampf gegen die Folgen der Globalisierung. Zur Nachahmung empfohlen wird Le Monde diplomatique. Ein anderer Teil fordert die taz dazu auf, ihren Gebrauchswert für links-alternative Projekte und Initiativen zu erhöhen, statt sich seitenlang über den jüngsten Furz aus dem rot-grünen Regierungslager zu verbreiten.

Delta schließlich sieht das Hauptproblem darin, dass die taz sich in ihrem engen Umkreis, also den jetzigen und den anvisierten Abonnenten, einmauert. Der potenzielle Käuferkreis steht in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Verkauf. Also muss der Einzelverkauf gesteigert und der Weg geebnet werden von einer flüchtigen Bekanntschaft zum beständigen Liebesverhältnis (Dauer-Abo). Gerade die „Z-Kampagne“ der taz zeige, dass auch ohne riesigen Kapitalaufwand die taz in bislang unbeackertes Gelände vordringen könne.

Anschließend kam ein Ausflug in die empirische Sozialforschung. Die taz-Abonnenten zerfallen schroff in die Alten und die ganz Jungen, die Jahrgangskohorte 89–99 glänzt durch Abwesenheit. Und die Jungen wollen von der taz dreierlei: problemorientierten Hintergrund, Debattenfreudigkeit und – immer mehr – gekonnten Witz. Die „Wahrheit“ als Einstiegsdroge.

Gegen Ende erschien die Phalanx der NRW-Hoffnungsträger. Sie teilen mit der übrigen taz alle Probleme. Aber wo in Berlin Verzweiflung herrscht, breitet sich an Rhein und Ruhr Aufbruchstimmung aus. Etwas aus dieser Melange von Pragmatismus, nüchternem Geschäftssinn und linken Prinzipien teilte sich auch der Versammlung mit. Bascha Mika, die in ihrem Schlussvortrag den unverwechselbaren aufklärerisch-kritischen Grundimpetus der taz ins Zentrum rückte, endete beifallumflort.