Jugo-Wahlen-Frust

Milošević versuchte Wahlen in Teilen des Landes zu erzwingen, ließaber anderswo Oppositionelle und Beobachter nicht in Stimmlokale

BERLIN/PRIŠTINA taz ■ Trotz gespannter Atmosphäre öffneten gestern in ganz Jugoslawien die Wahllokale für die Parlaments- und Präsidentenwahlen. Sie bedeuten für Slobodan Milošević die bisher größte Bedrohung seiner dreizehn Jahre währenden Herrschaft. Etwa dreißig ausländische Pressekorrespondenten hatte die Regierung am Vorabend des Landes verwiesen.

Nach Aussagen des unabhängigen Zentrums für freie Wahlen und Demokratie waren die Wahlbedingungen teilweise chaotisch. In allen Teilen des Landes hatte das Regime die Möglichkeiten zur Wahlbeobachtung stark eingeschränkt und hinderte führende Oppositionelle an der Teilnahme.

In Montenegro, wo 450.000 der 7,8 Millionen Wähler des Landes leben, wurde zu dieser Behinderung das Militär eingesetzt. Die pro-westlich gesonnene Regierung Montenegros hatte die Bevölkerung zum Boykott der Wahlen angerufen; Milošević ließ Armeeeinheiten dorthin verlegen, angeblich um deren Durchführung zu sichern.

Zum Wahlboykott hatte sich auch die albanische Bevölkerung des Kosovo entschieden. Deshalb wollten die im Kosovo anwesenden Vertreter der UNO-Verwaltung ursprünglich auch auf eine Überwachung der Abstimmung verzichten. Sie entschlossen sich dann aber doch, gemeinsam mit Beobachtern der OSZE und der jugoslawischen Opposition die Teilnehmer zu zählen, wegen der dort verbliebenen 60.000 serbischen Wähler. Diese halten Milošević nach wie vor für ihren Retter. Dass die 12 Parlamentssitze aus dem Kosovo an Milošević’ Partei fallen, glaubten die Beobachter zwar nicht verhindern zu können. Aber die Zählaktion sollte sicherstellen, dass Milošević später „tote Seelen“ unter den Kosovaren erfinden wird, die ihn angeblich zum Präsidenten gewählt haben.

In der Stadt Obelić zum Beispiel, wo weiterhin Serben und Albaner Tür an Tür leben, haben aus einer Bevölkerung von ehemals 7.500 Serben nur 857 Wähler am Sonntag zu den Urnen schreiten können. Die Stimmabgabe war für sie eine Manifestation des Willens, nicht aufzugeben. „Kosovo soll wieder fest zu Serbien gehören“, sagt eine der älteren Frauen, die schon gleich nach Öffnung der beiden Wahllokale ihr Kreuzchen machten.

Doch auch im Kosovo gibt es zur serbischen Opposition zählende Politiker, von denen nach Angaben aus ihren Reihen 200 Personen am Wählen gehindert wurden. So durfte zum Beispiel Momcilo Trajcović, einer der bekanntesten Anhänger des Oppositionsführers Vojislav Koštunica, in seinem Heimatdorf Caglavica nicht abstimmen, weil er angeblich nicht auf der Wählerliste stand.

Oppositionsführer Koštunica erklärte bei seiner Stimmabgabe, dass diese Wahlen unabhängig von ihrem Ausgang eine neue Epoche einleiteten. Sie zeigten, dass „die Leute bei uns die Angst davor verloren haben, ihre Meinung zu sagen“.

Ministerpräsident Momir Bulatović versicherte bei seinem Urnengang, Milošević werde seine Amtszeit bis Mitte 2001 voll ausschöpfen, sei aber bereit, auch ein für ihn ungünstiges Wahlergebnis letztlich zu akzeptieren: „Milošević ist ein Demokrat.“ ERICH RATHFELDER