Helferin gegen Armut

■ Bremer Studentin baut Hilfsorganisation in Guatemala auf

Er war Schuhputzer. Seit er sechs war, brachten ihn seine Eltern Tag für Tag in die Hauptstadt. Eines Tages holten sie ihn einfach nicht mehr ab. Er musste sich fortan allein durchschlagen. Keine Seltenheit Anfang der Neunzigerjahre, als Guatemalas Armee in ihrem Krieg gegen die linke Guerilla zigtausende von Indigenas ermordete. „Da habe ich zum ersten Mal den Unterschied zwischen Mitleid und Mitgefühl gespürt“, sagt Christine Dittmer. Die Verdenerin beschloss, ihr Leben umzukrempeln.

Ihre zweite Ausbildung zur Verlagskauffrau hat die Floristin damals noch zu Ende gebracht. Danach ging es direkt an die Bremer Uni: Sozialpädagogik mit entwicklungspolitischem Schwerpunkt sollte für den Auslandseinsatz fit machen. Aber dann ging alles Hals über Kopf: Das Praktikum im sechsten Semester führte natürlich nach Guatemala. Freiwillige aus aller Welt hatten 1998 nach dem verheerenden Hurrikan das „Projekt Mitch Guatemala“ (PMG) gegründet. Sie vermittelten freiwillige HelferInnen für Aufräum- und Wiederaufbauarbeiten. Als Christine Dittmer im vergangenen Jahr dazukam, war noch genug zu tun. Aber die ausgebrannten Mitch-AktivistInnen wollten nach Hause.

Nach drei Monaten war Christine Dittmer allein. Die 34-Jährige, die in aller Ruhe drei Dinge gleichzeitig tun kann, machte aus PMG auf eigene Faust eine dauerhafte Einrichtung. Das überholte „Mitch“ im Namen ersetzte sie durch „Mosaik“. Aus ihrem kleinen Büro in einer Sprachschule knüpfte sie internationale Kontakte und warb Spenden ein. Unter jungen TouristInnen fand sie Freiwillige, die bei ihr im Büro oder in einem sozialen Projekt mitarbeiten wollten: In Suppenküchen, Armenschulen, Gesundheitsstationen oder bei der Hausbau-Organisation „Habitat“. „Entscheidend ist nicht allein die Arbeit vor Ort, sondern dass sie den Projekten auf lange Sicht verbunden bleiben“, sagt Dittmer. Viele schicken auch nach Jahren immer wieder Geld. In Ausland entstehen regelrechte Netzwerke, aus denen sich inzwischen auch Freiwillige vorher anmelden.

Anfang des Jahres kam die Mannheimerin Barbara Freiberg ins Büro und nach ein paar Minuten war klar, dass sie bei PMG bleiben würde. Die beiden Frauen konnten die Arbeit ausweiten. Sie reisen jetzt übers Land und werfen ein kritisches Auge darauf, ob Projekte zur Selbsthilfe anregen oder neue Abhängigkeiten schaffen. Dann schlägt PMG Verbesserungen vor. Wenn das nichts hilft, sperrt PMG auch schon mal die Freiwilligen. „Hilfe zur Selbsthilfe“ kann auch ein Paar Schuhe sein, das einem Straßenkind den Schulbesuch ermöglicht. Solche Sachspenden verteilt PMG grundsätzlich über einheimische Einrichtungen. Aber Geldspenden werden nicht in bar weitergeleitet: Zu häufig ist schon Geld verschwunden. PMG kauft für die Projekte in Antiguas einzigem Supermarkt ein, der mittlerweile einen 20-prozentigen Rabatt gewährt. Die Übergabe wickelt Christine Dittmer diskret ab: „Wir wollen als Weiße nicht mit den Spendierhosen ankommen.“ Das würde nur ein Verhältnis reproduzieren, das die indigene Bevölkerung Guatemalas über Jahrhunderte an der Ausbildung eines eigenen Selbstbewusstseins gehindert hat.

Sogar mit staatlichen Einrichtungen arbeitet PMG zusammen: Aus einem Waisenhaus wollten Zuhälter immer wieder Kinder entführen. PMG heuerte einen Sicherheitsdienst an und plante eine Mauer um das Gebäude. Nach komplizierten Verhandlungen schien die Regierung schließlich einverstanden, brach dann aber jäh den Kontakt ab.

Seit der ehemalige Diktator Efraín Rios Montt zum Präsidenten gewählt wurde, ist die Arbeit für Nichtregierungsorganisationen schwieriger geworden. Man fürchtet, dass Berichte über die grassierende Korruption ins Ausland gelangen. Deshalb will Christine Dittmer nun in Bremen dafür sorgen, dass PMG schnell wächst. In ein paar Wochen soll ein gemeinnütziger Verein bestehen, über den Spenden fließen können. Dittmer selbst will so bald wie möglich zu ihrer Kollegin nach Guatemala zurückkehren. Sie ist sich sicher: Je bekannter PMG wird, desto weniger können die Behörden ihre Arbeit behindern. Ihr restliches Studium, so viel steht fest, wird sie als Auslandsstudium absolvieren.

Jan Kahlcke

Informationen: Tel. 790 17 83 oder www.pmg.dk .