Stadttheaters Liebestod

■ Das Oldenburger Theater überhebt sich an Wagner: Während der Premiere machte Tristan schlapp, und der Ausfall des männlichen Hauptdarstellers wirft die Frage auf, warum sich das Theater solch einen Opernbrocken zutraut

Richard Wagner hat sein letztes großes Musikdrama „Tristan und Isolde“ genannt. In Oldenburg war jetzt sozusagen eine Uraufführung zu hören, denn es gab „Isolde“, weil Tristan ausfiel. Es liegt mir fern, über indisponierte Sänger herzufallen. Alle, die Oper lieben, sind aufgerufen, Verständnis zu entwickeln für die schwierige Labilität des Singens, die so unvergleichlich schwerer wiegt als bei jedem Instrument. Aber was hier an diesem Abend passierte, wirft mehr Fragen auf als das Versagen eines Sängers.

Was war geschehen? Andrew Zimmermann als Tristan mühte sich eigentlich schon nicht akzeptabel durch den ersten Akt – eng und quäkig die Stimme – und gab es im zweiten Akt, dem großen Liebesduett, schlichtweg auf, es kam nur noch heiße Luft. Seine Partnerin Sarah Johannsen versuchte, sich anfangs darauf einzustellen, indem sie reduzierte, entschloss sich aber bald, wenigstens ihren Part durchzuziehen. Die heißen Dikussionen in der Pause im Publikum kann man sich vorstellen. Dann trat Generalintendant Stefan Mettin vor den Vorhang, entschuldigte den unglücklichen Sänger wegen einer „Indisposition, die ihn plötzlich überfallen“ habe und kündigte den erneuten Auftritt Zimmermanns für den dritten Akt an – nach medikamentöser Aufputschung. Zimmermann quälte sich weiter, das Publikum litt natürlich mit und gerade, als ich dachte, brecht doch bitte dieses unmenschliche Spiel ab, tat es der Sänger auch schon selbst. Vorhang schnell zu. Erneuter Auftritt des Intendanten: „Wir spielen jetzt noch für Sie Isoldes Liebestod.“

Ich erzähle das so ausführlich, weil dieses ganze Drama von vielen hätte verhindert werden können, nicht nur vom Sänger selbst, der die Stimme für den Tristan einfach noch nicht hat. Es hat sich mitnichten um eine Indisposition gehandelt, und schon mal gar nicht um eine „plötzliche“. Er hat schon die Generalprobe nicht singen können und im Siegfried der „Götterdämmerung“, die er auch in Oldenburg gesungen hat, zeigten sich schon vergleichbare Probleme, wenn auch nicht in dieser Krassheit.

Die künstlerisch Verantwortlichen der Aufführung hätten dies nicht zulassen dürfen und zumindest den erneuten Versuch im dritten Akt verhindern müssen. Dieser Vorgang offenbart die Schattenseiten in unserem Theaterbetrieb. Denn er macht es SängerInnen, die verantwortlich mit ihrer Stimmenentwicklung umgehen wollen und lernen müssen, „nein“ zu sagen, unglaublich schwer. Für Zimmermann steht mehr auf dem Spiel als sein Name: Über die Schädigung seiner Stimmbänder wage ich gar nicht nachzudenken.

Und sonst? Was Joachim Griep sich mit seiner Inszenierung gedacht hat, war nicht zu erkennen. Gut, er wollte Statik, er wollte Abstraktion, er wollte keine Emotionen, keine Berührung. Das ist in Ordnung – dass die Liebe zwischen Tristan und Isolde eine fiktive ist, dass die beiden sich ohne diesen Trank überhaupt nie geliebt hätten, das hat vor Jahren auch Ruth Berghaus in Hamburg gezeigt – , aber dann muss ja irgendwie erkennbar sein, was das Ganze denn soll. Und da war es regelrecht ärgerlich, wie leicht es sich die Regie mit aussagelosen Standbildern in postmodernen Blau-Grün-Pastellen – auch von Joachim Griep – gemacht hat. Sarah Johannsen als Isolde sang beglückend, aber die Biederkeit und Spannungslosigkeit ihrer Darstellung wirft ein weiteres Problem für diese Oper überhaupt auf: Diese Rollen zu singen, dafür muss frau – und mann – in fortgeschrittenem Alter mit entsprechend trainierten Stimmbändern sein. Ich stelle nicht infrage, dass man sich mit fünfzig auch noch kräftig verlieben kann, aber Tristan und Isolde sind in der Geschichte junge Menschen, müssen aber von der Großelterngeneration gesungen werden. Aus dem Dilemma, das der Komponist uns vorgibt, kommt keine Aufführung heraus, es ist aber anders lösbar als eine konzertante Aufführung mit ein paar Utensilien zu stellen.

Weiter ist zu fragen, warum in einem Haus wie Oldenburg, das so viele überzeugende Opernproduktionen herausgebracht hat, überhaupt eine Oper gemacht werden muss, die ohne viele Gäste nicht auskommen kann. Auch die Brangäne war ein Gast und die größte Leistung des Abends: Sonia Borowski-Tudor. Dass es leider noch mehr Gäste gebraucht hätte, zeigte der schwache und angestrengte Kurwenal von Bernard Lyon und Fritz Vitu als König Marke, bei dem es inzwischen keinen Unterschied mehr gibt, ob er Bartolo oder Rocco oder Marke singt. Und das Orchester? Der Generalmusikdirektor ab 2001, Alexander Rumpff, gab seinen relativ überzeugenden Einstand. Das Orchester schlug sich mehr als tapfer, vor allem mit hervorragenden Bläsern. Aber unter dem bedrohlichen Stern, unter dem dieser ganze Abend stand, darf man auch diese Leistung kaum beurteilen. Ganz schnell vergessen und viel draus lernen!

Ute Schalz-Laurenze

Weitere Aufführungen am 30.9. sowie am 3., 22. und 29.10. um 18 Uhr