Tanzbär lässt feiern

Im Land der „Rassismus-Profis“: Die australischen Ureinwohner nehmen den 400-m-Erfolg der Aborigine Cathy Freeman eher gespalten auf

aus der Aboriginal Embassy MATTI LIESKE

Man kann nicht behaupten, dass der Victoria Park zentral liegt. Die schmucke, grüne Oase mit einem kleinen Schwimmbad in der Mitte befindet sich ein ganzes Stück südlich der Innenstadt von Sydney, dort, wohin sich selten ein Besucher der Stadt verirrt. Dennoch, sagt Carrie Isaacs, ist die „Aboriginal Tent Embassy“, ein buntes Zeltlager, das im hinteren Winkel des Parks liegt, „hundertprozentig“ ein Erfolg. Während Isabelle Coe, die Organisatorin der Aborigines-Botschaft, lautstark dafür sorgt, dass alles seinen Gang nimmt, widmet sich Isaacs, ein altgedienter Veteran im Kampf für die Rechte der Ureinwohner, den Medienvertretern, die sich im Park eingefunden haben. So geht das, seit die Botschaft vor zehn Tagen eröffnet wurde, berichtet er stolz.

Etwa 200 Leute bewohnen die Zeltstadt, rund 70 Prozent davon sind Aborigines. Es gibt eine Aboriginal Art „Gallory“ mit nicht ganz billigen Gemälden – sie kosten umgerechnet bis 2.000 Mark – und riesigen Fotos einiger Teilnehmer der Aktion, die auf darunter befestigten Zetteln von sich und ihrer Unterdrückung als Aborigines erzählen. „Ich habe als Viehtreiber, Schafscherer und Eisenbahner gearbeitet“, schreibt der 88-jährige Uncle Laurie Stewart, „jetzt kämpfe ich, um mein Land zurückzubekommen.“ Jüngste Untersuchungen haben ergeben, dass Lebenserwartung und Bildungsniveau der australischen Ureinwohner weit unter dem der nordamerikanischer Indianer liegt. „Wir sind nicht dritte, sondern vierte Welt“, schreibt Douglas Dixon.

Den Mittelpunkt der Embassy bildet das heilige Feuer, welches ausschließlich von Aborigines-Männern gehütet wird. „Feuer ist Männersache“, sagt Carrie Isaacs. Über allem weht die Aborigines-Flagge, „schwarz für die Erde, rot für den Kampf und in der Mitte die gelbe Sonne, die das Leben bringt“. Am selben Abend wird die Aborigine Cathy Freeman mit Schuhen, die in diesen Farben gehalten sind, im Olympiastadion die 400 m gewinnen und dann besagte schwarz-rot-gelbe Flagge neben der australischen durchs Stadion tragen. Der Fernsehapparat im Victoria Park ist längst bereitgestellt. „Natürlich schauen wir das Rennen, ich will vor allem die Reaktion der Leute sehen“, sagt Isaacs. Dass er selbst kein Fan von Freeman ist, wird schnell deutlich. „Sie mag nachher laufen und das Rennen gewinnen, was ändert das am Leben dieser Menschen hier?“, fragt er, sichtlich indigniert, dass eine 25-jährige Sportlerin als Sprachrohr für die Rechte der Aborigines Weltruhm erlangt hat und nicht verdiente Aktivisten wie er selbst. „Sie ist nur eine junge Frau und muss noch viel lernen.“

Die Verehrung, die das weiße Australien Cathy Freeman entgegenbringt, ist Isaacs eine sprudelnde Quelle für Sarkasmus. „In Australien bist du als Ureinwohner entweder Athlet oder Krimineller“, sagt er, im Übrigen seien die Australier „Rassismus-Profis seit 212 Jahren“. Gelegentlich empfehle es sich eben, „dem Feind zu applaudieren, damit man nicht als Rassist dasteht“.

Er selbst kennt die Läuferin nicht persönlich, am nächsten sei er ihr bei einer Party in Perth gekommen. Aber da habe sie die ganze Zeit das „Schoßhündchen“ für Premierminister John Howard und andere Honoratioren spielen müssen. Er selbst sei ein paar Stunden später grundlos verhaftet worden. Hätten Freunde nicht die geforderten 10.000 Dollar Kaution aufgebracht, was den meisten Aborigines unmöglich gewesen wäre, hätte er zwei Jahre ohne Gerichtsverfahren im Gefängnis verbracht. Perfekter lässt sich die These vom Athleten und Kriminellen kaum illustrieren, doch Isaacs lässt nicht locker. „Wie viele Schwarze haben Sie im Fernsehen gesehen, seit Sie in Sydney sind?“ – „Bloß Athleten.“ – „Sehen Sie. Tanzbären!“

Das weiße Australien feiert seine Tanzbären am Martin Place in der City. Trotz der empfindlichen Kühle haben sich rund 2.000 Menschen vor der Großleinwand eingefunden. Fähnchen werden geschwenkt, kleine Kinder sitzen mit großen Augen auf den Schultern ihrer Eltern und eine kleine Gesellschaft aus dem Nobelrestaurant an der Ecke hat sogar ihr Abendessen unterbrochen, um den Liebling zweier Nationen siegen zu sehen. Jubel und Gelächter, als Cathy Freeman ihren vom Sponsor Nike aufoktroyierten Kasperleanzug präsentiert, ein kollektiver Aufschrei beim Startschuss, simulierte Stadionatmosphäre mit furiosem Crescendo auf den letzten hundert Metern, infernalisches Gebrüll beim Überqueren der Ziellinie, noch mehrfach reproduziert bei jeder der zahlreichen Zeitlupenwiederholungen.

Freundlicher Beifall während der zweiflaggigen Ehrenrunde, die Abendgesellschaft aber hat genug gesehen: „Back to dinner.“ Der Tanzbär hat seine Schuldigkeit getan, und im fernen Victoria Park wird Carrie Isaacs wohl noch einmal seinen Lieblingssatz wiederholen: „Auch wenn sie Gold gewinnt, sie kann die Welt nicht besser machen.“