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Mit schwedischem Humor

Tischtennislegende Jan-Ove Waldner verliert das Olympiafinale, wird aber trotzdem „der Ausnahmespieler schlechthin“ genannt und könnte irgendwann Botschafter in Peking werden

aus Sydney RONALD RENG

Einen Ball nach dem anderen schlug Linghui Kong weit über die Tischtennisplatte ins Aus. Jan-Ove Waldner, Kongs Gegner im olympischen Tischtennis-Finale, konnte sich darüber aber nicht freuen. Denn das Spiel war schon vorüber, Kong feuerte die Bälle aus Freude über seinen Sieg in die Zuschauerränge.

Kongs Erfolg war die unromantische Variante für den Schlussakt des Turniers. Könnten Gefühle allein ein Tischtennis-Match entscheiden, es hätte der Schwede Waldner gewinnen sollen, der mit 35 Jahren noch einmal unerwartet in seine beste Rolle geschlüpft war: alleine gegen die Chinesen. Seit er 1982 mit 16 als Europameister in der internationalen Szene auftauchte, sind eine Menge Spitzenspieler gekommen und gegangen, fast alle aus China – aber einer war immer da, gegen den sich alle schwer taten. „Er ist der Ausnahmespieler schlechthin, der beste aller Zeiten“, sagte der deutsche Bundestrainer Dirk Schimmelpfennig, der sich das Spiel im State Sports Centre ansah. Das Ergebnis konnte seine Meinung nicht ändern.

Vier Sätze lang tat Waldner alles zur Legendenbildung: Die ersten zwei verlor er (16:21, 19:21), nach dem dritten (21:17 für ihn) spielten sie Elton Johns Lied „I am still standing“ in der Halle, nach dem vierten (21:14) schien klar: Jan-Ove Waldner ist das Comeback-Kid. Es ging zu wie im Fußball-Stadion. Die halbe Chinatown von Sydney schien da, sie schrien: „China Aussie China, oi, oi, oi.“ Und wurden nun von der starken schwedischen Kolonie noch übertönt. Dann brach Waldner ein. „Zwei, drei Fehler, das Spiel läuft ihm weg, das geht schnell“, sagte der schwedische Nationaltrainer Ulf Carlsson. 1:10 lag Waldner hinten. Hat es das schon gegeben? „Schon oft, aber noch nicht in einem olympischen Finale im fünften Satz“, sagte Carlsson. Schwedische Ironie ist trocken – oder bitter. Konzentrationsschwäche? „Wenn du im Olympiafinale, fünfter Satz, Konzentrationsprobleme hast, solltest du aufhören“, sagte Waldner.

Und er startete noch ein Comeback. Plötzlich lag er nur noch 12:15 hinten. Der Sport schreibt die Dramen oft aufregender als der beste Fernsehregisseur – aber da war es schon vorbei. 21:13 für Kong und in den Ergebnislisten nichts Neues: Alle vier Goldmedaillen im Tischtennis gingen an China, zudem drei Silberne. Die internationale Tischtennis- Förderation hatte bereits das Startkontingent auf zwei Teilnehmer pro Nation beschränkt, damit der Rest der Welt wenigstens um Bronze spielen kann. Nur Waldner, der im Halbfinale den chinesischen Titelverteidiger Guoliang Liu schlug, spielte um Gold. „Die wenigsten hätten es ihm zugetraut“, sagte Trainer Carlsson.

In der Weltrangliste ist der Olympiasieger von 1992 schon seit einiger Zeit nicht mehr ganz vorne, zuletzt an Position 7. „Er kann sich nicht mehr jeden Monat motivieren“, sagt Carlsson, „dazu ist er zu lange dabei.“ Zu Hause in Stockholm war er der Boulevardzeitung Expressen weiterhin jederzeit eine Erwähnung in der Klatschkolumne wert. Aber der Ton wurde bissiger, wenn er wieder einmal im Café Opera gesehen wurde: Jan-Ove Waldner sei satt, und das nicht nur vom Essen im schicksten Haus der Stadt. Er trainiere nicht mehr hart genug.

Tatsächlich lebte er in den zurückliegenden Jahren nur noch für die großen Momente. 1999 führte er Schweden in Kuala Lumpur zum Sieg über China in der Mannschafts-Weltmeisterschaft. Vielleicht ist der nächste große Moment, Athen 2004, zu weit weg, um ihn noch einmal zu motivieren. „Warum solltest du zu alt sein, wenn du gerade nur einen Finger breit vom Olympiasieg weg warst?“, fragte Carlsson.

Einen Job, den er genauso gut erledigen könnte wie Tischtennisspielen, gäbe es für Waldner durchaus: Botschafter in China. Das schwedische Königspaar war beim Finale schon mal zu Gast. Und schwedische Firmen wie Ericsson oder Electrolux haben Waldner schon mitgenommen nach Fernost, um chinesische Politiker von ihren Exportideen zu überzeugen. Probleme gab es meist nur nach den Verhandlungen: Wenn Jan-Ove Waldner auf die Straße kam, mussten ihn Bodyguards vor zudringlichen Fans schützen. „Ich habe ihn als Junge auch im Fernsehen bewundert, er hat sich ja mit Generationen von chinesischen Tischentennisspielern gemessen“, sagte der 24-jährige Linghui Kong. Der Olympiasieger bat den Schweden zum Fototermin neben sich, und da stand Jan-Ove Waldner für einen Moment doch noch, wo er hingehört: ganz oben auf dem Siegerpodest.

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