Endlich vom Schrott wegkommen

■ Reinhard Mey lüftet Geheimnisse über sein gläsernes Image, Leichen im Keller und das authentische Arschloch

Reinhard Mey (57) hat das Fliegen aufgegeben. Und auch „Über den Wolken“ spielt er schon lange nicht mehr, „weil ich das nun wirklich als bekannt voraussetzen kann“. Auf seinem aktuellen Album „Einhandsegler“ modernisiert er vorsichtig, versucht er sich als Rapper, spricht von „Kids“ und beklagt für seine Verhältnisse fast schon kämpferisch den moralischen Niedergang der Republik. Ansonsten aber hat man es mit dem gewohnten Mey zu tun, der sich milde und jederzeit verständnisvoll mit den kleinen menschlichen Schwächen und eigenen Kindheitserinnerungen auseinandersetzt. „Haben mich Geborgenheit und Überschaubarkeit beengt?“ fragt er in „Paradies“ rückblickend auf einen Lebenslauf, der geradezu beängstigend bruchlos vonstatten ging. Tatsächlich lebt Mey heute noch mit Frau und Kindern im beschaulichen Westberliner Vorort Frohnau, nicht weit entfernt von seinem Elternhaus.

taz: Sie fliegen nicht mehr, aber Ihre neue Platte heißt „Einhandsegler“. Haben Sie das Segeln als Alternative entdeckt?

Reinhard Mey: Nein, ich bin zwar schon immer zu Wasser gewesen, aber der Titel ist nur als Bild gemeint: Der Einhandsegler zu sein, der sich allein um den Kurs kümmern, das Segel hissen und auch noch das Ruder halten muss.

Überrascht Sie die Geradlinigkeit Ihres Lebenslauf?

Ja, das überrascht mich sehr, dass mir das so widerfahren ist. Vieles von dem, was ich mir als Junge erträumt habe, ist wahr geworden: Etwa dass ich mein Leben damit zubringe, dass ich singe. Ich glaube wirklich, dass viele Dinge, die man sich sehr wünscht, eintreten, auch weil man unbewusst viele Weichen stellt und die Energien darauf verwendet.

Das gilt für Negatives wie Positives gleichermaßen?

Ja.

Dann sind Sie ein so durch und durch positiver Mensch, dass Ihnen nur Gutes widerfährt?

Nein, das natürlich nicht.

Was haben Sie denn falsch gemacht?

Fehler, die wir alle mal im Laufe unseres Lebens machen ... (spricht plötzlich sehr zögerlich) Dass man Dinge falsch bewertet ... Was weiß ich. Dass ich zum Beispiel in meiner ersten Ehe mehr auf die Signale hätte hören sollen ... (sucht verzweifelt nach Fehlern) Da habe ich Fehler gemacht, aber daraus habe ich gelernt.

Hatten Sie nie Probleme zum Beispiel mit Fans, weil Sie ihr Privatleben so öffentlich machen?

Nein, vielleicht ganz früher mal, in den frühen 70er Jahren. Inzwischen steht an meiner Haustür „My home is my castle“, und das wird respektiert.

Von anderen Prominenten wird sogar der Müll durchwühlt.

Dafür bin ich nicht interessant genug. Aber es ist wahr, ich will auch wirklich gläsern sein. Ich will mich selbst dazu erziehen, nichts zu verbergen zu haben, und mich so zu verhalten, dass jeder sehen kann, was ich mache. In meinem Müll wird man nicht einmal eine angebissene Wurst finden, weil ich Vegetarier bin. Man wird auch keinen Aktenkoffer mit Belegen von schwarzen Konten finden.

Einerseits gehört dieser offene Umgang zu Ihrem Image. Andererseits aber muss doch jeder Prominente im Umgang mit den Medien eine Maske haben.

Ich brauche keine Maske, weil ich keine Leiche im Keller habe. Es ist mir viel zu anstrengend, eine Leiche im Keller zu verbergen.

Aber der Anspruch an sich selbst, immer perfekt sein zu wollen, ist doch nicht auszuhalten.

Im Gegenteil: Bescheißen ist anstrengend. Es beinhaltet: Aufpassen, dass man sich nicht verplappert. Ich könnte mir gar nicht merken, was ich mal wem gesagt habe.

Ist ein solches Leben, in dem keinerlei Überschreitungen erlaubt sind, nicht langweilig?

(lacht) Nein, das ist sowas von aufregend.

Darf man sich da zum Beispiel betrinken?

Wenn mir danach ist, mich zu betrinken, dann betrinke ich mich. Aber ich sehe zu, dass das nicht geschieht, bevor ich mich ans Steuer eines Kraftfahrzeuges setze. Also wenn ich mir die Kante gebe, dann sehe ich zu, dass die äußeren Umstände das erlauben. Wenn man sich Spielregeln für sein Leben aufstellt, dann sollte man das sehen wie einen Slalom. Und es macht Spaß, immer schön durch zu fahren und keines von den Toren beim Slalom umzureißen. Es macht mir Spaß, genau 80 Stundenkilometer zu fahren, wenn 80 Stundenkilometer vorgeschrieben sind. Da hat mich schon „Die Zeit“ für gescholten, die haben geschrieben, der ist so gerade, dass er sich sogar an die Geschwindigkeitsbegrenzung hält. Ich fand das bezeichnend für einen Geist, der Kreativität nur da vermutet, wo man sich über die Spielregeln hinwegsetzt.

Aber ist es nicht so, dass Innovation gerade dann entsteht, wenn Regeln übertreten werden?

Ja, aber diese Regeln sind ja nicht gerade Geschwindigkeitsbegrenzungen.

Auf Ihrer neuen Platte heißt es „Man merkt erst beim Verkehrslagebericht, das ist das Land in dem man angeblich deine Sprache spricht“. Wollen Sie eine Quote für deutsche Musik im Radio, wie sie Heinz-Rudolf Kunze vor einigen Jahren forderte?

Ich habe damals, als die Diskussion aufkam, gesagt, es hat keinen Zweck zu versuchen zu reglementieren. Aber ich finde es schon bedenklich, dass Schrott gespielt wird. Ich höre das Radio, das meine Kinder hören, und das ist mindestens 90 Prozent amerikanischer Schrott und nur fünf Prozent deutscher Schrott. Wir werden von dem Schrott nie wegkommen, wenn wir nicht jungen Autoren die Möglichkeit geben, gespielt zu werden. Es wird, meiner Meinung nach, ein ganzer Kulturzweig platt gemacht: Leute, die sich in dieser Sprache ausdrücken und etwas zu sagen haben, die finden einfach nicht mehr statt.

Die Medien bringen, was die Leute sehen und hören wollen. Glauben Sie wirklich an eine große Verschwörung gegen das deutsche Liedermachertum?

Ich sage nicht, es gibt eine Verschwörung gegen das Liedermachertum, aber gegen die deutsche Sprache. Wir müssten uns wohl mal eine Senderliste von Radiosendern ansehen. Dass deutscher HipHop so erfolgreich ist, das lässt einen optimistisch in die Zukunft blicken. Das stimmt letzten Endes damit überein, was ich schon früher gesagt habe: Dass sie die Leute so zuschütten werden mit ihrem anglo-amerikanischen Produktionen, dass irgendwann eine Sehnsucht entstehen wird nach etwas, das sie verstehen und wo sie sich darüber Gedanken machen können, ob es ein guter Text ist oder nicht.

Haben Sie manchmal Lust, Erwartungen zu enttäuschen?

Natürlich kann man das, aber dann verliert man doch nicht seine Authentizität. Wenn ich morgen Lust habe, das authentische Arschloch raushängen zu lassen, dann mache ich das, aber es ist authentisch.

Aber gerade ein Arschloch sind Sie ja offensichtlich nicht.

Ja, wer weiß. Es entspricht nicht meiner momentanen Verfassung. Aber wenn mir morgen danach ist, dann mache ich das.

Das mag ja so sein, Tatsache aber ist: Sie haben es nie getan.

Ich bin in einem Gleichgewicht mit mir, so wie ich jetzt bin. Und das war ich schon immer, und wenn ich es nicht war, dann habe ich daran gearbeitet, dieses Gleichgewicht herzustellen. Um jetzt ganz anders in Erscheinung zu treten, müsste ich mir Gewalt antun. Das wäre wie Karneval, als ob ich mir eine Nase aufsetze, um ein ganz anderer zu sein.

Fragen:

Thomas Winkler

Konzert am Freitag, 29.9., um 20 Uhr in der Bremer Stadthalle