Verfassungsdebatte
: Grundrecht europäisch

■ Hochkarätige Fachtagung in der Bremer Bürgerschaft

Die Terminüberschneidung war nicht beabsichtigt: Gestern sollte der Brüsseler Konvent unter Leitung von Altbundespräsident Roman Herzog seine Beratungen zu einer europäischen Grundrechtscharta abschließen. Gleichzeitig veranstaltete die Bremer Bürgerschaft – als erstes deutsches Landesparlament – eine Fachtagung zum selben Thema, an der auch SchülerInnen und Studierende teilnahmen.

„Unsere Veranstaltung ist schon die zweite von dreien, die seit langem geplant sind“, erklärte Bürgerschaftspräsident Christian Weber (SPD). „Damals war nicht mal abzusehen, ob sich der Konvent überhaupt auf einen gemeinsamen Text einigen würde“, sekundierte sein nordrhein-westfälischer Parteifreund Manfred Dammeyer, Vizevorsitzender des europäischen „Ausschusses der Regionen“. Dass die Ausarbeitung einer Grundrechts-Charta nun doch überraschend schnell gelungen sei, so Dammeyer, begrüße das Gremium, in dem die Bundesländer vertreten sind. Auch den Ausbau zum Kern einer europäischen Verfassung unterstütze die Regionenvertretung.

Darüber herrscht allerdings noch lange kein Konsens in Europa. Die Briten beispielsweise haben gar keine geschriebene Verfassung. „Wie sollen sie da an einer europäischen Verfassung Spaß haben?“, fragte Politikwissenschaftler Dammeyer. Auch aus Skandinavien oder den süddeutschen Bundesländern kommen immer wieder Einwände gegen ein europäisches Verfassungswerk: Man fürchtet den Verlust der eigenen Kompetenzen. Sehr zum Ärger des grünen Bürgerschaftsabgeordneten Hermann Kuhn: „Die Länder sind mir hier viel zu defensiv“, sagte der Ko-Moderator der Tagung.

Uneinig waren sich darüber die anwesenden Experten: Der Osnabrücker Europarechtler Albrecht Weber verspricht sich von einer europäischen Verfassung sogar eine schärfere Abgrenzung der Kompetenzen zwischen der Union und ihren Mitgliedsstaaten. Für fraglich hält er allerdings, ob damit die Verankerung sozialer Grundrechte in der Charta vereinbar wäre. Sein Bremer Kollege Josef Falke sprach sich dagegen deutlich für die Aufnahme sozialer Rechte in das Vertragswerk aus. Salomonisch äußerte sich der Potsdamer Kollege Eckart Klein, Mitglied des Bremer Staatsgerichtshofes: „Reden wir nicht wo viel von einer europäischen Verfassung, das hat abschreckenden Effekt.“

Die SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Bringfriede Kahrs dagegen will auf eine gemeinsame Verfassung eine „europäische Identität“ gründen. Als ersten Schritt dazu will sie mit der nächsten Wahl zum EU-Parlament 2004 eine europaweite Volksabstimmung über die Grundrechts-Charta durchführen lassen. „Dann würden ja wir Deutsche für die Dänen mitentscheiden“, wandte Dammeyer ein, „na denn viel Spaß.“ Falke legte danach Wert auf die Feststellung, eine Volksabstimmung sei nicht der einzige Weg, die Grundrechts-Charta verbindlich zu verankern, wenn auch ein engagierter. Zur Not täte es aber auch eine Ratifizierung durch die Regierungen. jank