Slow-Ola rollt dröhnend heran

Die Beachvolleyballer lassen den olympischen Geist einen guten alten Mann sein und jubeln also IOC-Chef Samaranch zu

aus Sydney MATTI LIESKE

Wahrlich seltsame Dinge tun sich bei diesen Olympischen Spielen. Das Organisationskomitee Socog, dem vor einigen Monaten gerade 16 Prozent der Australier bescheinigten, einen guten Job zu machen, ist auf stolze 76 Prozent hinaufgeschossen, und gestern bekam auch noch IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch Standing Ovations im Beachvolleyballstadion von Bondi Beach. So erfüllt ist Sydneys Bevölkerung inzwischen mit Begeisterung für Olympia, Medaillen häufende Aussies und sich selbst als global gelobter Gastgeber, dass jeder, der mit den Spielen zu tun hat, automatisch einen Ehrenplatz in ihrem Herzen findet, egal wie viel Dreck er am Stecken hat.

Hinzu kommt, dass Samaranch als einer der Verantwortlichen dafür gilt, dass Beachvolleyball zur olympischen Sportart wurde. Vor einigen Wochen hätte man ihn in Bondi Beach dafür noch gesteinigt, doch die Proteste gegen den Stadionklotz, der den Lieblingsstrand der Sydneysider nicht unerheblich verunstaltet, sind vergessen, spätestens seit die australischen Frauen am Montag hier Gold schürften, aber auch schon vorher, nachdem man gemerkt hatte, dass es sich hervorragend aushalten lässt, wenn man sich im Klotz drin befindet.

Beachvolleyball am Gestade des Pazifik, das war pure Party und die best gelaunte Veranstaltung der Spiele, trotz Cathy Freeman und diverser Schwimmfeste, die mehr von patriotischer Medaillengier geprägt waren denn von sportiver Fröhlichkeit. Beachvolleyball, das war auch das Ereignis, das am ehesten jenes merkwürdige Flair von Atlanta 1996 hatte, wo das time-out-erprobte US-Publikum in den Pausen stets besser drauf war, als wenn die Wettkämpfe liefen. In Sydney sitzen die Leute meist ölgötzig rum, wenn gerade nichts passiert, beim Beachvolleyball jedoch tobten und klatschten die 10.000 zu dröhnender Rockmusik, angefeuert von „Lifeguard Dave“, der die Zuschauer wechselweise zum Brüllen, zum Klatschen und zu verschiedenen Varianten der guten, alten Ola animierte: die Slow-Ola, eine Zeitlupenwelle zu Tschaikowskis Schwanensee oder dem Strauß-Walzer „An der schönen blauen Donau“, alternativ dazu auch mal die rasante Speedola, Wellenreiten im Zeitraffer.

Die Unmengen Fans aus dem beachvolleyballverrückten Brasilien brauchten keine Animation. Sie schlugen ihre Trommeln, bliesen ihre Posaunen, schwenkten Plastik-Känguruhs im brasilianischen Trikot und stellten ihren vielzentnerschweren Oberfan zur Schau, der sich anmutig zum Takt der Samba- oder Rock-Rhythmen wiegte. Man muss schon so verbiestert sein wie die australischen Olympiasiegerinnen Pottharst/Cook, um sich darüber zu beschweren, dass die Musik zu laut wäre und die Konzentration störe. So verbiestert wie auch die Ordner, die es den Brasilianern aus Sicherheitsgründen verboten, ihre große Trommel mit ins Stadion zu bringen.

Bei einem derartig substanziellen Anfeuerungsverlust ist es kaum verwunderlich, dass ausgerechnet diejenigen, die das olympische Beachvolleyball in einen zehntägigen Karneval verwandelt hatten, am Ende leer ausgingen, was das Gold betraf. Nachdem am Montag Shelda und Adriana gegen die Australierinnen verloren hatten, unterlag gestern auch das hoch favorisierte Duo mit dem erfahrenen Ze Marco und dem leuchtturmlangen Ricardo den robusten US-Ballprüglern Dain Blanton und Eric Fonoimoana. Die beiden Brasilianerinnen würden noch 24 Stunden später bitterlich weinen, sie wirkten dafür relativ fröhlich, wurden die Silbermedaillengewinner fast vorwurfsvoll von brasilianischen Journalisten gefragt. „Wir lachen nur für euch“, antwortete Ze Marco, „innerlich weinen auch wir.“

Hatten Pottharst/Cook immerhin zu den Favoriten in Sydney gezählt, waren die beiden Kalifornier die absolute Sensation des Turniers. Erst im allerletzten Moment hatten sie sich für Olympia qualifiziert, doch wie die Deutschen Jörg Ahmann und Axel Hager, die sich gestern die Bronzemedaille holten, waren sie genau im richtigen Moment toppfit. „Wir haben unsere fünf besten Matches des Jahres hier in Sydney gespielt“, sagte Eric Fonoimoana.

Ab morgen gibt es wieder freie Sicht in der Bucht von Bondi Beach. Das Stadion wird abgebaut, Beachvolleyball aber hat sich mit insgesamt 170.000 Zuschauern glanzvoll als olympische Disziplin etabliert. Jörg Ahmann hofft, dass die Bronzemedaille dem Sport nun auch in Deutschland Auftrieb gibt. „Obwohl“, meint der 34-jährige, „man da wahrscheinlich das Wetter verbessern müsste.“ Das allerdings wäre gestern auch an der regnerischen Bondi Beach bitter nötig gewesen, wo der DJ im Stadion eine ganze Weile brauchte, bis er die magische Formel fand. Nachdem „Big surf, hot sun“ ebenso versagt hatte wie „Sunshine on a rainy day“, brachte erst eine reine Verzweiflungstat leichte Besserung: „Singin in the Rain.“