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Schläger zu Spazierstöcken

Warum die deutschen Hockeyspieler 1:2 gegen Großbritannien ausgeschieden sind, kann niemand erklären. Klar ist, dass dem eh schon jungen Team nun ein weiterer Generationswechsel bevorsteht

aus Sydney RONALD RENG

Noch acht Sekunden zu spielen, und die Deutschen gingen. Ulrich Moissl, der in diesen Tagen von Sydney als Retter in Serie so etwas wie Kultstatus im deutschen Hockey-Nationalteam erlangt hat, marschierte voraus, regungslos die Gesichtszüge, stramm der Schritt. Wie ein Wanderer den Wanderstock schwenkte er den Hockeyschläger in der rechten Hand. Als die Schlusssirene ertönte, war er schon in den Katakomben des olympischen Hockey-Stadions verschwunden. Das Ende wollte er nicht mehr abwarten.

Es war ein Abgang ohne Ankündigung, den die deutschen Hockeyspieler am gestrigen Dienstagabend nahmen. Ihr Ausscheiden in der Vorrunde nach der 1:2-Niederlage gegen Großbritannien scheint auf den ersten Blick bestens in das deutsche Gesamtauftreten zu passen, das geprägt wird von unerwarteten Niederlagen. Aber die Hockey-Herren? „Wir haben das ganze Turnier über sauberes, attraktives Hockey gespielt“, sagte Bundestrainer Paul Lissek, „und letztendlich war es gar nichts“, sagte Mannschaftskapitän Christian Mayerhöfer. Einen Punkt nur noch hätten die Deutschen gegen die bereits ausgeschiedenen Briten gebraucht, um sich als Gruppenzweiter für das Halbfinale zu qualifizieren. In einem Turnier, in dem die anderen Favoriten regelmäßig gegen Außenseiter Punkte ließen, waren die Deutschen die Einzigen, die unspektakulär und konzentriert ohne Fehltritt ihr Pensum herunterspulten; bis sie im letzten Vorrundenspiel den größten Stolperer hinlegten.

Manche Niederlagen sieht man kommen: Als Björn Michel und Christoph Bechmann beim Stand von 1:1 zweimal an den Pfosten schossen, hätte dem letzten im Stadion klar sein müssen, dass dies nicht der glücklichste Tag der überlegenen Deutschen war. Kapitän Mayerhöfer sagte: „Ich habe immer gedacht, irgendwann hört es doch mal auf, das Pech. Aber als wir den fünften Pfostenschuss im Turnier hatten . . .“ – Schulterzucken. Fünf Minuten vor Schluss fiel dann das 1:2. Christoph Wüterich, der Präsident des Deutschen Hockey-Bundes (DHB) stand am Stadionausgang. Fast auf den Meter genau an derselben Stelle, an der er Samstag gestanden hatte. Damals hatte er gesagt, wie begeistert er von diesem jungen Team sei, das gerade im Kontrast zu den in der Vorrunde ausgeschiedenen Frauen „mit Emotionen und Herz hier wunderbar aufspielt“. Wie zwei Pfostenschüsse einen Menschen verändern können: „Ich bin jetzt einfach nur betroffen“, sagte Wüterich.

Viel tiefer gingen die Analysen fast nirgendwo, und wenn sich einer wie Lissek doch bemühte, kam er nur zu dem Ergebnis, dass rationale Erklärungen fehl am Platz sind. „Wir waren viel näher dran an einer Medaille als in Atlanta“, sagte er, aber die Ergebnisliste sagt etwas anderes: 1996 waren sie Vierter, nun werden sie in den Plazierungsspielen bestenfalls noch Fünfter. Noch nie habe er so eine gute Vorbereitung gemacht, sagte Lissek, 130 Tage in einem Jahr waren sie beisammen. Selten seien sie so gut in ein Turnier gestartet, „es lief alles so leicht in den ersten vier Spielen“. Sie hätten das 1:0 gegen Großbritannien durch Mayerhöfer zu einem „idealen Zeitpunkt“ geschossen, zwei Minuten nach der Pause. „So ein Turnier“, sagte Lissek, „es ging so sehr rauf. Und dann so runter.“ Weitermachen, war Lisseks Vorschlag auf die Frage, was man in Zukunft anders machen könne. In Christian Mayerhöfer wird sein Führungsspieler aufhören, er ist 29, und das ist im deutschen Hockey schon das höchste Alter: Die Nationalspieler sind alles Amateure, die es sich irgendwann nicht mehr leisten können, den Berufsanfang für den Sport hinauszuzögern. Lissek sprach davon, dass es genug junge Leute gebe, die „hinten drängen“. Aber wie er mit weniger erfahrenen Kräften auskommt, muss sich zeigen. Er jedenfalls wolle weitermachen: „Ich habe immer davon geträumt, oben aufzuhören. Ich bin noch nie Weltmeister gewesen, das wäre auch mal nicht schlecht.“

Er war der einzige, der Weitblick hatte. Draußen vor dem Stadion stand Präsident Wüterich und hielt eines der kuriosesten Pressegespräche: Vor Ratlosigkeit fragte keiner, stumm stand die Runde da, nur Wüterich stieß alles 30 Sekunden einen Satz aus. „Jetzt kommt’s aber knüppeldick.“ Schweigen. „Das war ein Tritt gegen das Schienbein.“ Schweigen. „Und jetzt geht’s weiter.“ Es klang, als wollte er sich selber überzeugen.

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