Homecoming der lokalen Pioniere

Transatlantisches Gipfeltreffen der Musik-Dekonstruktion: Das fünfzehnte „Acustica“-Festival in San Francisco

as Bier ist alle. Trotzdem greifen alle noch einmal zur Flasche, setzten sie an den Mund und pusten. Der fahle Ton hebt an und wird sogleich vom Komponisten abgewunken: Toni Marionis „Beer Drinking Sonata“ hat ein Ende. Das gediegene Publikum, das sich an diesem Samstagnachmittag zur Performance eingefunden hat, zerstreut sich in der Bar und quittiert das Ereignis mit kennerhaftem Schmunzeln. Da hatte man ihn doch noch mal geatmet, den freien Geist der 70er-Jahre.

San Francisco hat sich stets mit der Aura einer künstlerisch wie gesellschaftlichen Enklave geschmückt, doch diese Aura ist verblasst. Heute dominieren Web-Unternehmen die Stadt, ihre Künstlergemeinde wird buchstäblich in die Wüste getrieben. Mit den Gebärden klassischen Neureichtums pflegt man jetzt einen unbezahlbaren Schick – so zumindest sehen es die betroffenen Künstler. Kein Gespräch, in der die „Dotcomer“ nicht mit zerknirschtem Unterton angefeindet werden. Es lag deshalb ein wenig Nostalgie darin, dass das Goethe-Institut am vergangenen Wochenende amerikanische und europäische Künstler nach San Francisco einlud, um auf der diesjährigen „Acustica“ den Status quo musikalischer Grenzbereiche zu inventarisieren. Die Bezeichnung Musik wurde allerdings vermieden: Man sprach von Soundscapes, Multichanneling, akustischer Kunst und Audiovision.

Der Eröffnungsabend trug sowohl der Geschichte des Austragungsorts als auch dem Verzicht auf ein traditionelles Musikverständis Rechnung – mit einer Reihe von Bühnenstücken des Futurismus – jener Strömung also, die die Demontage des Musikbegriffs zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts eingeleitet hatte. Die in Duisburg lebenden Komponisten Gerhard Stäbler und Kunsu Shim hatten die Dramaturgie zu ihrem „Futuressencexxx“ erst vor Ort mit einer Gruppe von Laiendarstellern und im Kollektiv erarbeitet. Wo man nicht der nostalgischen Provokation verfiel, gelang es den Akteuren, das kämpferische Potential der Texte zu aktualisieren: Der ohnehin eher niedrige Geschmackshorizont der vermeintlich zivilisierten Welt wurde dabei so lustvoll wie empfindlich verletzt.

Im Mittelpunkt des „Acustica“-Festivals standen Arbeiten des Kölner Studios für akustische Kunst. In einem ganztägigen Panel gaben auskunftfreudige Komponisten zu verstehen, dass es der akustischen Kunst keineswegs an Innovationsreserven mangelt. Wohl aber hat die technische Entwicklung den ehemals homogenen Block der Tonbandschnipsler zerschlagen. Der überzeugendste Entwurf stammte von Robert Cahen und Michel Chion. Videokünstler und Klangdesigner pointierten den unüberwindbaren Unterschied, der etwa zwischen Fokus und Zoom einer Kamera einerseits und der Allgegenwärtigkeit des musikalischen Raumes andererseits besteht. Anhand dieses Unterschiedes entwickelten sie die Kriterien einer audiovisuellen Kunst, die die sonst marktschreierisch vorgetragene Parole von der Kongenialität der Medien einzulösen verstand.

Das Profil des Studios für akustische Kunst wurde überdies mit zwei Meilensteinen markiert: Pierre Henrys asynchrone Filmmusik zu Walter Ruttmanns Stummfilm „Berlin. Sinfonie einer Großstadt“ und das Hörstück „Roaratorio“ von John Cage, das Joyces „Finnegan’s Wake“ nachempfunden ist. Cage hat sein „Roaratorio“, wie viele seiner späten Werke, 1979 in Europa realisiert. Es scheint das tragische Los amerikanischer Künstler zu sein, im eigenen Land wenig Anerkennung zu finden, während das kulturell durchaus konservativ ausgerichtete Europa die Koordinaten der Rezeption absteckt.

Dieses Schema ist bis heute ungebrochen. Bill Fontana etwa, der mit einem klangmalenden Venedigporträt vertreten war, löst mit einer neuen Arbeit in Europa noch gut und gerne einen mittelschweren Medientumult aus. In seiner Heimatstadt San Francisco tritt man Fontana hingegen eher unterkühlt entgegen. Und auch Randy Thom, wegen seiner Soundtracks für Filme wie „Wild At Heart“ gefeiert, produzierte seinen künstlerisch ambitionierten „Ear Circus“ in Köln. Auch deshalb war die Austragungsstätte der diesjährigen „Acustica“ signifikant. Weil sie – und das Pathos ist durchaus am Platze – sich als Homecoming-Forum der heimischen Pioniere erwies. BJÖRN GOTTSTEIN