Jubel über die Wende

Obwohl kein Ergebnis vorliegt, feiert Serbiens Opposition den Wahlerfolg. Das Regime schweigt. Milošević’ Verbündeter Šešelj wechselt die Seite

aus Belgrad ANDREJ IVANJI

Serbiens Opposition jubelt, die Menschen feiern auf den Straßen. In der Nacht zu Dienstag zog ein Konzert anlässlich des „historischen Sieges“ der Demokratischen Kräfte rund 50.000 Menschen an. Die Straßen im Belgrader Zentrum waren blockiert, Polizisten regelten freundlich den Verkehr. Mit jeder Stunde, die vergeht, glauben immer mehr Menschen an eine Wende. Nach Jahren der Apathie ist die Aufbruchstimmung überall zu spüren. Denn dies waren keine normalen Wahlen, sondern ein Referendum für oder gegen Miloše- vić, für oder gegen eine Öffnung nach Europa. Und Milošević hat anscheinend verloren.

So ist die Reaktion des Regimes auch nur folgerichtig: Die Nachrichten des staatlichen Fernsehens sind sehr karg geworden. Die wenigen Vertreter der regierenden Parteien, die sich dennoch zu Wort melden, haben sichtlich an Elan verloren. Anscheinend muss erst an höchster Stelle entschieden werden, was getan werden soll. Auch Spezialeinheiten der Polizei sind nirgendwo zu sehen. Die Armee ist in den Kasernen geblieben.

„Unser Programm wird von einem unbekannten Ort gestört“, begann Radio „Index“, der einzige unabhängige Radiosender in Belgrad, gestern die Nachrichten. Am Wahltag konnte „Index“ noch ungestört rund um die Uhr alle Ereignisse verfolgen und den zwar „inoffiziellen“, doch „überzeugenden“ Sieg der Opposition schon wenige Stunden nach der Schließung der Wahllokale verkünden. In einem Kontaktprogramm äußerten die Zuhörer ausnahmslos ihre „Freude“, die aber die Angst vor einer „gewalttätigen Reaktion des Regimes“ trübe. „Eines hat sich aber schon jetzt verändert“, stellte der Moderator fest. „Bisher versteckten sich unsere Gesprächspartner hinter Pseudonymen, jetzt wagen immer mehr Menschen, unter ihrem richtigen Namen das Regime zu kritisieren.“

Die Bereitschaft zum Widerstand in Serbien wird nach dem Wahlerfolg der Regimegegner immer größer. Obwohl die Bundeswahlkommission mit der Bekanntgabe der Wahlergebnisse noch zögert und Vertreter des Regimes beteuern, dass sich Milošević als Sieger der Präsidentenwahl erweisen könnte, zeigen sich schon jetzt die Auswirkungen des unerwartet überzeugenden Erfolgs von DOS.

Vuk Drašković, Vorsitzender der bisher größten Oppositionspartei, der „Serbischen Erneuerungsbewegung“ (SPO), kündigte seinen Rücktritt an. Es sei falsch gewesen, dass die SPO allein angetreten sei, räumte er ein. Auch Vojislav Šešelj, Führer der ultranationalistischen „Radikalen Partei Serbiens“ (SRS), Milošević’ Koalitionspartner auf Bundes-und Republiksebene, bot seinen Rücktritt an. Überdies erkannte die SRS den Sieg von DOS an.

Gerade das Verhalten der SRS macht dem Regime, neben dem offensichtlichen Erfolg von DOS, Sorgen. Denn ohne die SRS, die fünfzig Prozent der Ministerposten in Serbiens Regierung besetzt, verliert die Milošević-Koalition die Mehrheit im serbischen Parlament. Wenn sich Še- šelj wirklich entschieden hat, auf die Seite der voraussichtlichen Sieger zu wechseln, ist Milošević auch der letzte Ausweg versperrt.