Der Blues der Hochkultur

Der Rauch über den Wassern zwischen Klassikrock und Rockklassik: Deep Purple und das George Enescu Philharmonic Orchestra zu Gast im CCH  ■ Von Roger Behrens

Die Protestbewegungen der 60er Jahre erschütterten auch und vor allem die bis dahin geltende kulturelle Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft: Die Trennung zwischen Hochkultur und der als minderwertig geltenden populären Kultur wurde in Frage gestellt. Die Situation der Künste, mittlerweile in einer Art Nachlassverwaltung der Kulturindustrie, bot den Nährboden: In der Musik etwa hatten sich avancierte Klänge ins Esoterische verflüchtigt, gleichzeitig drängten aus der mittelmäßigen Popmusik innovative Töne hervor: Rockmusik versuchte mit dem Erbe der Hochkultur eine neue Ästhetik ernst zu nehmender und gleichzeitig populärer Massenkultur zu begründen. Begriffe wie Art- oder Progressive-Rock wurden geprägt, der Beat wurde durch Streichereinlagen untermalt, Rock-Opern (etwa The Who mit Tommy) – oder „Klassik“-Konzerte mit Popeinlage (zum Beispiel Seiji Ozawa mit seinem Concert for Bluesband and Orchestra) kamen ebenso in Mode wie Coverversionen und Rockinterpretationen von Bach, Beethoven oder Holst durch Bands wie The Nice, Ekseption oder King Crimson. Dabei schien gerade die dissidente Attitüde von Sex, Drugs and Rock'n'Roll einen vermarktbaren Kontrast zum Ernst des bürgerlichen Musikbetriebs abzugeben: Wenn eine Band wie Deep Purple, als „lauteste Rockgruppe der Welt“ bekannt geworden, sich der Orchesterphrasen bediente, aktualisierten sie nur das Bild des Virtuosen und Künstlergenies, das mit Liszt oder Paganini schon vorgegeben war.

In diesem Kontext steht auch das Concerto for Group and Orchestra des Deep Purple-Organisten Jon Lord – eine dreisätzige Komposition im Stile neoklassischer oder spätromantischer Programmmusik: Lord ging es sowohl um die Entgegensetzung von Band und Orchester (erster Satz) als auch um Verschränkung klassischer und rockstilistischer Elemente (zweiter und dritter Satz). Musikalische Vorbilder für seinen Kompositionsstil fand er in der britischen Frühmoderne; mit Komponisten wie Edward Elgar, Benjamin Britten oder Malcolm Arnold verbindet Lord eine ähnliche Weise der Themenentwicklung. Mit Arnold, der als Dirigent dann auch die Orches-terversionen vieler Pophits bekannt machte, und dem Royal Philharmonic Orchestra brachten Deep Purple das Concerto schließlich am 24. September 1969 in der Londoner Royal Festival Hall unter großem Beifall und mit einigen Zugaben zur Aufführung.

Insbesondere das Wechselspiel von Einzelstimmen und Tutti-Einsatz des Orchesters, wie es für die genannte britische Musik charakteristisch ist, nutzt Lord, um nach und nach die Deep Purple-Instrumentalisten zum Zuge kommen zu lassen – damals waren das Ian Gillan (Gesang), Roger Glover (Bass), Ian Paice (Schlagzeug) und Ritchie Blackmore (Gitarre). Zwar geht es bis heute auch darum, das technische Können der Musiker vorzuführen, indem regelrechte Wettkämpfe mit dem Orchester ausgetragen werden, doch gelingt es Lord im Concerto insgesamt, sein musikalisches Anliegen ohne Aufdringlichkeit zu vermitteln: Themen werden vorgestellt, durchgeführt, wiederholt, eine Melodie wird von der Orgel aufgegriffen und in den Deep Purple-typischen Boogie-Rock überführt. Damit ist Lords Komposition weit entfernt von dem Spektakel, zu dem solche musikalischen Verbindungen heute geworden sind, wo sich Bands wie Metallica oder Scorpions mit im besten Falle einfallslosen Bombas-torchestrierungen ihrer mitunter ohnehin schon einfallslosen Musik als innovativ hervortun.

Das scheint gewissermaßen die Quittung für eine damals nicht konsequent zu Ende gebrachte Sprengung der hegemonialen Ordnung der Hochkultur zu sein. Ob Deep Purple, die Lords Komposition mit dem George Enescu Philharmonic Orchestra jetzt noch einmal in überarbeiteter Fassung zur Aufführung bringen, dies nun nachholen oder selbst zu Apologeten der pseudo-innovativen Abgeschmacktheit geworden sind, bleibt abzuwarten – eher letzteres ahnen lässt aber eine bereits vorliegende Neueinspielung des Concerto, die diejenige von vor dreißig Jahren ersetzen soll – schon in der gewandelten Covergestaltung.

Sonntag, Einlass 19 Uhr, Beginn 20 Uhr, CCH