Delirium der Körper

■ Die minimalistischen Studien des Jérôme Bel

Die Show muss weitergehen, meint Jérôme Bel, obwohl er doch 1998 erst mit seiner Choreografie The Last Performance das Ende aller Vorstellungen angekündigt hatte. Neue Türen hätten sich ihm geöffnet, neue Fragen gestellt, bezüglich des Tanzes und damit der Repräsentation der Körper, erzählt der gewitzte Querdenker und philosophische Zweifler aus Frankreichs junger Choreografengeneration, die seit einigen Jahren internationale Aufmerksamkeit erregt. Und ein Traum habe sich für ihn erfüllt: „Ich habe mir immer schon einmal gewünscht“, sagt Jérôme Bel, „mit Schauspielern zu arbeiten. Dennoch habe ich erstmal gestutzt, als Tom Stromberg mir das Angebot einer Inszenierung für das Deutsche Schauspielhaus machte.“

The show must go on! heißt es nun am Freitag zum Auftakt der Ära Stromberg mit 21 Darstellern auf der Bühne im großen Haus. Der neue Intendant holt den Tanz in sein Theater und mit Jérôme Bel einen der weitreichendsten Erneuerer dieses Genres. Nichts lässt Bel am angestammten Platz. Sein Tanz ist des Körpers nicht mehr sicher. Der Choreograf verweigert ihm die in dieser Kunstform gängigen Zeichen. „Alles, was wir vom Körper wissen, basiert auf Sprache“, erläutert er und bezieht sich dabei auf den Semiotiker Roland Barthes.

Nackt und ganz untänzerisch agierten die Tänzerinnen und Tänzer in Bels vielbeachteten Stück Jérôme Bel von 1995, das seinen Namen trägt, in dem er selbst aber gar nicht auftritt. Fragen nach Identität und Originalität stellt der 36-Jährige radikal, doch stets mit einem Augenzwinkern. „Die authentische Kreation“, sagt er, „ist doch Schwindel. Niemand ist einzigartig. Ich bin von so vielen Dingen und Menschen beeinflusst. Das ist phantastisch. Das ist Geschichte.“ Was liegt also näher, als sich in The show must go on! mit der Essenz aus 30 Jahren Popmusik auseinander zu setzen? „Unser Alltag, unsere Stimmungen sind so weitreichend von dieser Musik gefärbt. Sie gehört uns allen“, sagt Bel. Für ihn, den Choreografen in der Arbeit mit Schauspielern, schlagen die Popsongs da Brücken: Vom Tanz zur Musik, vom Schauspiel zum Text. Die Darsteller, Männer und Frauen verschiedenen Alters, machen nun von Anfang bis Ende das Gleiche. „Es ist ein Solo, ein großer Körper. Das ist das Ensemble“, erklärt Bel. „Lasst uns ein Delirium produzieren, neue Spekulationen anstellen über das Leben!“ Doch Vorsicht: Jérôme Bel will nicht unterhalten. Seine Stücke sind klar sezierende, fast minimalistische Studien, an denen sich meist hitzige Diskussionen entzünden.

Irmela Kästner

Premiere von The Show must go on!: Freitag, 23 Uhr, Schauspielhaus