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: Meine Alzheimer-Parade

Am Kaminfeuer

Spärlich bekleidete Frauen schmeißen sich in den Sand, wenn sie nicht gerade nach einem bunten Ball hüpfen. Männer hocken erhaben wie Indianer in kleinen Bötchen, als paddelten sie in gewichtiger Mission zum geheimen Hauptquartier. Dürre Kerlchen trippeln kilometerweit durch die Gegend, und man möchte ihnen zurufen: Lauft doch, ihr Armen! Aber gerade das dürfen die nicht.

Olympia, alles so schön bunt. Weil aber all diese Beachvolleyballerinnen und Kajakfahrer und Geher nur flüchtig durch meinen Fernseher huschen, ist mir Sekunden später schon wieder entfallen, wie sie heißen und was sie treiben.

Gerade noch kann ich mich an den Namen Thorpe erinnern, aber wie der milchgesichtige Schwimmflossler abgeschnitten hat bei seinen hundert Schwimmstarts – vergessen. War nicht dieser Holländer Hosenband am Ende immer besser? Ist eigentlich im Wasser mal wer wegen Schummelei aus dem Verkehr gezogen worden, oder trifft das nur bulgarische Kraftsportler? Alles viel zu viel. Die Spiele sind wie meine persönliche Alzheimer-Parade.

Da war ich sehr froh, als gestern Nacht ein Rudel Radfahrer auftauchte. Die kenne ich! Die erkenne ich immer wieder. Die sehe ich den ganzen Sommer über durch Frankreich und Spanien fahren. Ullrich und Virenque und Zülle und Armstrong und Pantani. Das ist sozusagen mein Kaminfeuer: Radler, die jeden Nachmittag stundenlang in einer Ecke durch mein Büro fahren. Nun radelten sie durch Sydney, und ich fühlte mich bei Olympia endlich wie zu Hause. Dabei habe ich auch gleich eine Goldmedaille gewonnen, denn in meinem schlichten Radfangemüt bin ich glühender Ullrich-Fan. Jan Ullrich im Radfahren ist wie Bayern München im Fußball: eine sichere Sache, wenn man es sich auf der Gewinnerseite gemütlich machen will.

Gestern habe ich allerdings eine kleine Enttäuschung erlebt. Ich heule eigentlich immer, egal ob sich Nord- und Südkoreaner bei der Eröffnungsfeier an den Händen halten oder zum elften Mal Cathy Freemans Lauf wiederholt wird. Wenn ich auch von manchen Sportarten wenig verstehe: Ich liebe Pathos!

Aber Jan Ullrich? Der taugt dafür so gut wie Butterblumen. So stoisch stand er während der Hymne auf dem Podium, als dächte er bestenfalls an den nächsten Schokoriegel. Der Schuft! Vielleicht könnte er mal bei Michael Schumacher weinen üben. Ein kleines Bisschen nur. Mir zuliebe.

KATRIN WEBER-KLÜVER