Unsicherer Schiffsverkehr

Auch sechs Jahre nach dem Untergang der „Estonia“ fahren viele Fährschiffe mit Sicherheitsrisiken über die Meere. Denn vereinbarte Maßnahmen greifen erst ab 2002

STOCKHOLM taz ■ Heute vor sechs Jahren war die Ostseefähre „Estonia“ untergegangen – 852 Menschen kamen ums Leben. Danach herrschte breite Einigkeit in Schifffahrtskreisen, dass die Sicherheit von Fährschiffen grundlegend erhöht werden müsse. Dieser Schiffstyp ist wegen seines durchgängigen Autodecks im Fall eines Wassereinbruchs besonders anfällig für ein Kentern. Dabei kann er innerhalb weniger Minuten umkippen und sinken, wie die Unfälle der „Estonia“ oder jetzt der „Express Sanima“ zeigen. Tatsächlich aber ist die Sicherheitsarbeit seither auf halbem Wege stecken geblieben.

Die geltenden Sicherheitsbestimmungen für die Schifffahrt haben in internationalen Abkommen und in Bestimmungen der jeweiligen nationalen Seesicherheitsbehörden ihre Grundlage. Für Erstere steht vor allem die UN-Seesicherheitsorganisation IMO (International Maritime Organization) mit ihren Solas-Regeln (Safety of Lives at Sea), welche aber nur einen Mindeststandard an Sicherheitsbestimmungen und Rettungseinrichtungen regeln. Jedoch konnten alle schweren Fährunglücke der letzten Jahre nicht verhindert werden. Deshalb versuchten sich die europäischen Länder nach dem „Estonia“-Untergang auf strengere Sicherheitsvorschriften für Passagierschiffe zu einigen. Anfang 1996 schlossen sie mit dem „Stockholmer Abkommen“ nur einen ungenügenden Kompromiss. Geschuldet vor allem Polen, Russland, Spanien, Italien und ganz speziell Griechenland, welche ihren Reedereien keine kostspieligen Investitionen zumuten wollten. Griechenland und andere Anrainerstaaten des Mittelmeers haben dieses Abkommen nie unterschrieben. Ganz auf der Strecke blieben grundlegende Umbauten, welche ein schnelleres Evakuieren sicherstellen sollten, sowie Mindestanforderungen an die Sicherheitsausbildung der Besatzung. Beschlossen wurden Zwischenschotts im Autodeck und zusätzliche Schwimmkörper an den Seitenwänden des Schiffsrumpfs, um die Stabilität der Fährschiffe zu erhöhen. Und es wurden eine Reihe von neuen Details an Rettungseinrichtungen Pflicht, damit vor allem Rettungsboote und -inseln auch bei Schlagseite leichter zu Wasser gelassen werden können.

Doch diese Sicherheitsverbesserungen werden erst ab 2002 Pflicht. Um „wirtschaftliche Härten“ zu vermeiden, wird es auch dann großzügige Ausnahmen für die nationalen Regierungen geben. REINHARD WOLFF