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: Zur Herbstsaison ändert sich das Ausgehverhalten

Zurück zur Natur

Kaum ist das Sommerloch zu Ende, kündigt sich eine leichte Herbstdepression an. Der elektrische Heizer trocknet die Zimmerluft aus, alles ist langweilig geworden, nichts hat sich verändert. Nur die Tierhandlung Wuff und Maunz in der Eisenbahnmarkthalle hat den schönen Computerausdruck „Haftpflichtversicherungen auch für Kampfhunde“ durch ein schnödes „Maulkörbe für kurzschnäuzige Rassen“ ersetzt.

Zwar könnte man sich auf heimelige Nächte in tollen Szene-Locations freuen, aber auch da sieht es ganz schlecht aus. Irgendwo soll es eine neue Donnerstagsbar geben, irgendwo am Alex ist das Sternradio, aber: Who cares? Dieser jahrelang interessant verfallene Osten, bizarre Orte ohne Toilette und realsozialistische Asbestarchitektur – das alles ließ uns geschmäcklerisch werden. Die edelholzverkleideten Internettresen der Mittebars – was soll da noch kommen? Eine Neuorientierung des Ausgehverhaltens für die Herbst/Wintersaison 2000 steht also an. Aber woher die Inspiration nehmen? Vielleicht hilft ein Blick zurück. Gab es nicht warme Sommertage, war da nicht ein Urlaub in fernen Ländern? Was war dort der Menschen Zeitvertreib?

In der oberrheinischen Tiefebene zum Beispiel trifft sich die badische Dorfjugend mit der spätausgesiedelten Russenmafia in Holzbaracken namens Europool. Das ist immer ein großes Hallo, und man hält sich nicht mit der Bestellung von Einzelgetränken auf, sondern ordert ganze Bretter. Ein Brett ist ein ein Meter langes Sperrholzstück mit sechs großen und sechs kleinen sauber ausgesägten Löchern. Solch eine Trinkkultur würde Bewegung in unsere verzärtelte Berliner Ausgehgesellschaft bringen!

Auch auf der Halbinsel Hel in Polen geht man das Ausgehen ganz anders an. Bei einem Spaziergang durch schattige Wäldchen trifft man dort schon nachmittags alle 1,5 km auf einen depressiven Polen, der allein auf einem Baumstumpf hockt und vor sich hin brütet. Dazu lässt er eine drei Viertel leere Flasche gleichgültig in der locker zur Faust geschlossenen Hand baumeln. Von diesem schwermütigen Völkchen kann der oberflächliche Berliner einiges lernen. Es muss nicht immer das große Halligalli, die rauschende Kokainparty, das Rumgehopse in der Technodisco sein. Sei dir selbst genug! Die größte Offenbarung ist die Stille! Ich denke, also bin ich – retournez à la nature! Das sollten Losungsworte für ein besseres Nachtleben sein.

CHRISTIANE RÖSINGER