Reichstag – Ort des Irrsinns

Das hohe Haus zieht Verwirrte an: Erneut wollte sich ein Autofahrer rabiat Zugang verschaffen. Findlinge, die nach dem ersten Vorfall aufgestellt wurden, wirken anziehend statt abschreckend

Privatprobleme, Steine und „Satelliten-Beobachtungs-Verschissmus“

von BARBARA BOLLWAHN
DE PAEZ CASANOVA

Der Reichstag wird zur Pilgerstätte Verrückter. Zum dritten Mal innerhalb von zwei Wochen wählten Menschen hinterm Lenkrad das Gebäude als Ort ihres Protestes. Nachdem am Montag vergangener Woche ein 22-Jähriger aus Magdeburg wegen persönlicher Probleme mit seinem benzingetränkten Auto die Rampe zum Osteingang hochgefahren, jedoch in der Glasfront steckengeblieben war, gibt es bereits Nachahmer. Gestern Früh versuchte ein 34-Jähriger aus Nordrhein-Westfalen, mit seinem Golf Kombi sein Glück auf der nördlichen Zufahrtsrampe. Doch ein tonnenschwerer Findling stand ihm im Weg.

Nach Polizeiangaben gelang es dem gehbehinderten Fahrer aber, den Stein mit seinem Wagen ein Stück zu verschieben. Der Preis: Die Pkw-Front wurde stark beschädigt, der Airbag ausgelöst und der unverletzt gebliebene Mann von der Staatsanwaltschaft vernommen. Auf der Fahrertür stand: „Weg mit den Steinen!“ Nach dem ersten Vorfall hatte die Bundestagsverwaltung zwei 1,9 Tonnen schwere Findlinge aufstellen lassen. Denn die versenkbaren Sicherheitspoller am Osteingang und die Videoüberwachung sind derzeit nicht funktionsfähig. Ein Bundestagssprecher sagte, der Mann habe gedacht, die Steine seien seinetwegen da.

Gestern wurde bekannt, dass der Mann aus Nordrhein-Westfalen bereits einen Tag nach der ersten Auto-Attacke auf das hohe Haus mit seinem Wagen die Rampe am Osteingang hochgefahren und ein Gespräch mit dem Bundestagspräsidenten verlangt hatte. Angeblich wollte er gegen „Satellitenbeobachtungs-Verschissmus“ protestieren. Nach Angaben der Polizei gelang es einem Referenten des Bundestagspräsidenten, den Mann zur Abfahrt zu bewegen.

Auch der Mann aus Magdeburg war schon vor seiner Fahrt auf den Reichstag auffällig geworden. Auf die Fassade des Magdeburger Rathauses hatte er den Spruch „Ich brauche Geld“ gesprüht. Ein Polizeisprecher sagte gestern gegenüber der taz: „Wenn etwas Spektakuläres in aller Munde ist, besteht immer die Gefahr der Nachahmung.“ Nun sollen mindestens 22 Polizisten pro Tag für Ordnung sorgen.

Nach Angaben eines Sprechers der Staatsanwaltschaft soll der „psychisch auffällige“ Mann aus Nordrhein-Westfalen dem sozialpsychiatrischen Dienst vorgeführt werden. Auto und Führerschein wurden sichergestellt. Von Amts wegen wird wegen des Anfangsverdachts des Hausfriedensbruchs und eines Straßenverkehrsdeliktes ermittelt. Der Ausgang des Verfahrens hängt jedoch von der Untersuchung beim sozialpsychiatrischen Dienst ab.

Der Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte weiter, dass der Mann ein Schreiben an einen Abgeordneten bei sich gehabt habe, in dem er „seine Stellung als Behinderter“ beklagt. „Er fühlt sich diskriminiert, weil er mit seinem Rollstuhl nicht die Rampen hoch kann.“ Dabei brauchen Rollstuhlfahrer die Rampen gar nicht zu erklimmen. Denn vor dem Westportal befindet sich ein behindertengerechter Eingang.