Einmal ein echter deutscher Bulle sein

■ Vor zwei Jahren gründete der Togolese Bassirou Ayeva „Potal“, eine Theatergruppe für Flüchtlinge. Heute zeigen sie ihr Stück „Die bittere Pille des Exils“ – wenn nicht in der Zwischenzeit einer der Schauspieler abgeschoben wurde

Als wenige Wochen vor der großen Expo-Faust-Premiere der Schauspieler Bruno Ganz von einer Leiter fiel und sich verletzte, war das eine mittlere Katastrophe. Von heute auf morgen stand Regisseur Peter Stein ohne Hauptdarsteller da. Über derartige Probleme kann Steins Theaterkollege Bassirou Ayeva vom Lesumer Theater „Potal“ nur lächeln. Der Togolese muss jeden Tag mit dem Ausscheiden seiner wichtigsten Akteure rechnen. Denn „Potal“ setzt sich aus neun Asylbewerbern zusammen.

Seit zwei Jahren organisiert Ayeva das multikulturelle Ensemble. Mit unvorhersehbaren Abschiebungen von Schauspielern kann er inzwischen umgehen. In solchen Fällen muss das junge Ensemble (17 bis 26 Jahre) eben sein Improvisationsvermögen unter Beweis stellen. Das sei, sagt Ayeva, für die meisten Darsteller überhaupt kein Problem: Sie müssen einfach nur ihren Alltag auf die Bühne bringen.

In der aktuellen Inszenierung „Die bittere Pille des Exils“ fällt das nicht schwer. Sie handelt von einer Geschichte, die so oder so ähnlich fast jeder Flüchtling selbst erlebt hat. Da beutet ein weißer Mann ein afrikanisches Land aus und verursacht einen Krieg, vor dem der Königssohn Prince Madou fliehen muss. In Deutschland angekommen, stößt er auf viele Vorurteile und Verständnislosigkeit. Gerade die möchte Ayeva mit dieser Eigenproduktion abbauen.

Das Publikum soll erfahren, dass nicht der Reiz der D-Mark hier, sondern die Angst vor dem Krieg dort der Grund für die Flucht ist. Aber die Medien, sagt der Regisseur, sind gegen ihn. Weder in den Tageszeitungen, noch im regionalen Fernsehen zeige man bislang Interesse an dem Theaterprojekt: „Dabei sind wir schon sieben Mal in Bremen und Umgebung aufgetreten!“ Alle Medien gegen „Potal“ nach gerade einmal sieben Veranstaltungen?

Wie auch immer – der Idealismus ist Ayeva jedenfalls nicht abhanden gekommen. Auf der Straße vor dem Heim spricht er nahezu jeden an, der ihm entgegenkommt: „Und? Wie sieht es aus? Spielst du bald mit?“ Meistens erntet er zunächst nicht viel mehr als ein verlegenes Abwinken. Gerade ältere Heimbewohner lassen sich nicht leicht überzeugen.

Die ungewisse Situation über die persönliche Zukunft lässt schließlich wenig Platz für andere Gedanken. Bei Jüngeren aber hat Ayeva mehr Erfolg. Für sie bedeutet das Theater nicht nur eine willkommene Abwechslung des gefängnisähnlichen Daseins. Es bietet ihnen auch ein Ventil für alltägliche Sorgen in der Schule, bei deutschen Behörden oder im Heim: Einmal selbst den deutschen Polizisten spielen oder etwa den deutschen Geschäftsmann, der den Krieg in Afrika für skrupellose Waffengeschäfte nutzt.

Die Aufführung der Flüchtlinge aus Sierra-Leone, China, Iran und Polen ist heute zu sehen. Zwar muss sich der deutsche Zuschauende auf englische, französische oder westafrikanische Sprechakte einstellen – anders geht es angesichts der Herkunftsunterschiede nicht. Doch verspricht Ayeva, dass diese babylonische Sprachvielfalt keine Verständnisprobleme hervorrufen wird. Johannes Bruggaier

Aufführung heute, Samstag, um 17 Uhr, im Gustav-Heinemann-Bürgerhaus, Kirchheide 49 in Bremen-Vegesack