Ten-minute-one-man-show

■ Im UEFA-Cup tut Ailton für den SV Werder einen gehörigen Griff in die Selbstvertrauens-Kiste – auf Kosten eines demoralisierten türkischen Gegners

Ein denkwürdiger Abend: Nach dem Spiel sagte ausnahmsweise der Gästetrainer weniger als der notorisch wortkarge Thomas Schaaf. Metin Ünal war regelrecht sprachlos. Eingefallen saß er auf seinem Stuhl und brachte nur mit Mühe einige dürre Worte unter seinem mächtigen Schnauzbart hervor: Mangels Erfahrung sei sein Team nach dem Rückstand in Panik geraten und habe folglich mit 0:6 verloren. „Wir hatten viel Kredit zu verlieren, und das haben wir hier ausgereizt“, erinnerte sich der Trainer von Antalyaspor wehmütig an das 2:0 aus dem Hinspiel.

Das reichte in Bremen gerade bis zur Halbzeit. Werder hatte vor allem über die linke Seite stürmisch begonnen. Gerade neun Minuten waren gespielt, als der bissige Raphael Wicky den Ball nach einer Herzog-Ecke über die Linie stocherte. Danach rannte Werder zwar weiter gegen das türkische Tor an, vernachlässigte dabei allerdings zunehmend die Defensive. Nach einer Viertelstunde häuften sich die schnellen Konter von Antalyaspor. Frank Rost musste ein paarmal in höchster Not retten.

„Türkiye, Türkiye“, schallte es aus dem Block, in dem sich mitgereiste Fans mit Bremer Türken mischten. „Deutschland, Deutschland“ zahlte die Ostkurve mit vermeintlich gleicher Münze zurück. Glücksache, dass die Gäste von der türkischen Riviera respektvoll ihre Deckung aufrecht erhielten, und deshalb gegen die bisweilen nachlässige Werder-Abwehr fast nie in Überzahl angriffen. So genügte meist ein neuer, alter Abwehrchef Dieter Eilts, der in manchmal provozierend leichtsinniger Manier die türkischen Stürmer im eigenen Strafraum ausfummelte.

Fünf Minuten vor der Pause flankt der starke Torsten Frings von links und Marco Bode köpft das 2:0. Thomas Schaaf sagt seinen Spielern „Noch ist nichts gewonnen“, und sie haben verstanden. Nach dem Wiederanpfiff beginnt die grandiose One-Man-Show des Mannes, der einzig dazu fähig ist: Aiiiilton! Zweimal nimmt er Maß – erst drei Meter drüber, dann einen. Darauf bedient er erst mal traumhaft Paul Stalteri zum 3:0.

Die Räumung des türkischen Fanblocks will Ailton aber selbst besorgen. Er schießt aus allen Lagen, egal ob Rost über Bogdanovich vorlegt, Ailton sich den Ball selbst aus dem Mittelfeld holt oder eine Flanke quer in der Luft liegend mit Pike abnimmt: Wie auf dem Freimarkt heißt es „Jeder Schuss ein Treffer!“ Nach drei Toren in zehn Minuten nimmt der Trainer seinen Hattrick-Ballermann lieber vom Platz – das erfordern die Grundregeln der Gastfreundschaft ebenso wie der Denkmalschutz für europäische Rekorde. Oder war's schon der erste Tritt auf die Euphoriebremse? „Jetzt ist nicht gleich alles wieder gut“, ahnt Schaaf, dass in Bundesliga andere Kaliber warten. Zumindest der UEFA-Cup könnte mehr Erfolgserlebnisse bescheren. Aber gegen den KRC Genk aus Belgien hilft kein „Wunder von der Weser“, da dort das Hinspiel ausgetragen wird. Jan Kahlcke