Gib dem Affen Saccharin

Stephan Maus leidet an akutem Vokabelüberdruck. Also hat er einen Roman geschrieben: „Alles Mafia!“ ist eine Berliner Dreiecksgeschichte mit sieben Seiten Motti von Thomas Pynchon bis Johannes Rau, hundertdreißig Seiten dichter Metaphernfolgen und ganzen zwei Sätzen als Rahmenhandlung

von CHRISTANE TEWINKEL

Stephan Maus, 32, ist hochgewachsen. Ein gebildeter junger Mann. Nickelbrille, violettes Hemd. An der rechten Hand trägt Maus einen schweren Silberring mit hellbraunem Stein, Karneol vielleicht oder Bernstein. Maus ist angespannt. Den Ring setzt er immer wieder ab, dreht ihn hastig, setzt ihn wieder auf, wieder ab. Wenn Maus sagt, dass er aus Überdruck schreibt, aus „Vokabelüberdruck“, um genau zu sein, dann glaubt man ihm das sofort.

Dieser Tage ist sein zweites Buch erschienen, „Alles Mafia! Eine Gangsta Rhapsodie“. Sieben Seiten Motti von Pynchon bis Johannes Rau, hundertdreißig Seiten Roman. Und zwei Sätze als Rahmenhandlung: „Hast du mal Feuer?“ – „Danke, ich rauche nicht!“ Wäre dieses Buch nicht das Ergebnis akuten Vokabelüberdrucks, wäre es nicht ein solche Anhäufung von bizarren Metaphern und ziselierter Sinnlichkeit, dürfte man jetzt sagen: Die zwei kurzen Rauch-Sätze geben die Pfosten einer Wäscheleine, auf der eine Unzahl von Kleinigkeiten hängt. Charmante, redundante, schrille. Oft poetische, manchmal obszöne. Immer kontrolliert und gepflegt angeordnet. Mit Formbewusstsein.

„Draußen beschien der Mond sehr hell den stillen Kreis der Berge“, schrieb ein deutscher Dichter eins ganz arglos. „Der Mond hing zitternd im Klischee der Pfütze“, schreibt Maus. Oder „Die Gullydeckel dampften in der Kälte – waren auch zu oft im Kino gewesen.“ Mond, Natur und Beziehungskräche machen es für Maus nicht mehr. Das Eigentliche interessiert ihn nur dreifach verspiegelt. „Wenn ich über einen Eichelhäher schreiben sollte – ich würde ihm den Hals umdrehen, damit er besonders komisch schreit.“ Und der Roman ist auch nicht mehr das, was er mal war. „Ausgereizt“, sagt Maus. Wo Roman draufsteht, muss doch Roman gar nicht drin sein: „Der Roman ist ein Allesfresser.“

Das stimmt. Maus' erstickend dicht geschriebene Geschichte einer Berliner Dreiecksbeziehung zwischen der Erzählerin Nina, ihrem vietnamesischen Freund Thanh und einem mysteriösen, allmächtigen Dritten namens Ninja hat zwar die nötigen Liebes- und Vereinigungsbeschreibungen. Dazu einen Mord am Ende und viel Zigarettenrauch mittendrin. Aber ansonsten ist nicht viel zu erkennen. Oder vielmehr ist schon dies kaum noch zu erkennen. Die schon beklagte Metaphernmüdigkeit, die sich nach der Lektüre von Maus' Buch einstellt, lässt gerade noch die Feststellung zu, dass die Brille, die der Autor seinem Leser aufzwingt, so bunt ist, dass sie nichts mehr zeigt.

„Die Erdbeere wurde die Frucht des Monats“, schreibt Maus zum Beispiel: „Eine Frucht, bei deren Anblick man sich fragt, ob Gott nicht die schärfste Spindtür von allen hat. Wenigstens die Behaarung auf der blutroten Sammelnussfrucht aus der Gattung der Rosengewächse hätte er sich sparen können.“ Maus ist gebildet. Oder zumindest tut er so. Abrupte Wechsel wie diesen übt er in „Alles Mafia!“ oft. Von der Beschreibung einer Nummer auf dem Kneipenklo springt er zu Bachs „Allemande“ in BWV 812, vom Radiowecker, der 19:33 anzeigt, zur Machtergreifung. Es fehlt nicht an Anspielungen auf Proust, George und Nabokov, nicht an Pfeilen, die abgeklärt nach außen weisen, ein paar französische Einsprengsel inklusive.

Nicht aus Borniertheit habe er diese eingefügt, sondern aus Lust am Heterogenen, am Spiel mit der fremden Sprache, sagt Maus. Wegen „diffuser Fernweh“ ist er gleich nach dem Abitur nach Aix-en-Provence gegangen, um dort Literaturwissenschaften zu studieren. Das hat sein Schreiben stark beeinflusst. Stil- und Schreibübungen am Text entlang, Randbemerkungen, die sich allmählich verselbständigen: „eine mönchsartige Entwicklung“.

Seit einigen Jahren ist Maus wieder in seiner Geburtsstadt Berlin. Er schreibt für FAZ, Frankfurter Rundschau und taz, hat ein Hörspiel und vor zwei Jahren seinen ersten Roman „Hajo Löwenzahn. Ein Badewannendivertimento“ veröffentlicht. Zu den anderen so genannten jungen Berliner Autoren, zu Herrmann, Staffel oder Stuckrad-Barre fühlt er indes wenig Nähe. Form ist ihm wichtiger als Inhalt, und Berlin mag er höchstens in Kulturschnipseln darstellen.

Ob seine Figuren glaubwürdig sind, ist Maus herzlich egal. Oder doch nicht? Da verstrickt er sich ein wenig. Klar mag er dichte Sprache am liebsten. Aber ein Sloganizer will er nicht sein. Und sicher – die Menschen in seinen Romanen lassen vor lauter Uneigentlichkeit nur selten wissen, wer sie wirklich sind; Maus' idealer Leser guckt sich das bunte Sprachspielzeug an und freut sich. Aber einen Mehrwert soll es doch geben. Schließlich ist „Alles Mafia!“ eine Liebesgeschichte. „Ich habe versucht, die klassische Dreiecksgeschichte auf neue Art zu erzählen.“ Da lichtet sich der Blick. Da macht der Filter Sinn. Maus' Prosa ist klug gemacht. Klug. Und gemacht. Sie eint ein immenses Talent für Sprache mit einer heiß gespannten Distanz zu den Dingen. „Gib dem Affen Saccharin“, möchte man ihn zitieren. Komm herab, hier ist es kühler.

Stephan Maus: „Alles Mafia! Eine Gangsta Rhapsodie“, Rowohlt Berlin, 2000. 145 S., geb., 29,80 DM